Angel Eyes. Zwischen Himmel und Hölle (German Edition)
allein sind, denn sonst könnte ich für nichts garantieren. Luc nimmt meine Hand, und ich lasse mich zu Zimmer 616 führen.
In der Englischstunde bittet Mr. Snyder Luc, die letzten Seiten von Früchte des Zorns vorzulesen. Luc sitzt so dicht an meiner Seite, dass sich unsere Schenkel berühren.
«Das haben Sie großartig gemacht, Mr. Cain», lobt Mr. Snyder. «Auf eine schriftliche Endprüfung werde ich dieses Mal verzichten. Stattdessen werden Sie über Früchte des Zorns jeweils zu zweit einen Aufsatz schreiben, der fünfundzwanzig Prozent Ihrer Englischnote ausmachen wird. Um Ihnen eine kleine Hilfe zu geben, habe ich ein paar Fragen zusammengestellt.» Er verteilt einen Stapel Papiere. «Meine Empfehlung ist, dass Sie sich vor dem Aufsatz einen Plan machen. Gleich wild drauflos zu schreiben, führt meistens dazu, dass man sich verzettelt. Und vergessen Sie die Zusammenfassungen nicht, die Sie bereits geschrieben haben. Auch die werden sich als nützlich erweisen. Heute ist Donnerstag. Bis Montag haben Sie Zeit, anhand meiner Fragen eine Gliederung zu schreiben. Die Aufsätze sind in einer Woche fällig, am letzten Schultag. Bis zum Ende dieser Stunde dürfen Sie sich schon einmal die Fragen durchlesen.»
Luc überfliegt die Seite mit Mr. Snyders Fragen und sieht mich dann grinsend an. «Sieht aus, als müssten wir uns das ganze Wochenende über in meiner Wohnung verbarrikadieren.»
Ich führe meinen Mund an sein Ohr. «Bin ich dann deine Gefangene, oder darf ich kommen und gehen, wie ich will?»
«Du wirst nirgendwo hingehen wollen!», flüstert Luc.
Die Pausenklingel ertönt und setzt meinen Herzschlag wieder in Gang.
Doch kaum bin ich auf dem Flur, wird daraus zittriges Flattern. Gabe lehnt an meinem Schließfach und lächelt mich engelgleich an.
Mein Gott, er ist wirklich wunderschön.
Auf dem Weg zu Gabe stolpere ich über meine Füße. Luc fängt mich auf. Ich hole tief Luft und setze einen Fuß vor den anderen.
Als Luc Gabe entdeckt, legt er mir den Arm um die Taille. «Hallo, Gabriel», knurrt er.
Ich kann Gabe nicht ansehen. «Kommst du mit zu Physik?», fragt er und klingt so verletzt, dass es mir die Brust abschnürt.
Sanft löse ich mich von Luc. «Ja, klar.»
Wortlos bahnen wir uns einen Weg durch den überfüllten Flur. In meinem Rücken spüre ich Lucs Blick, doch ich schaue eisern auf die grauen Fliesen vor meinen Füßen.
Kurz vor dem Physikraum bleibt Gabe stehen. «Das möchtest du also», sagt er. «Nein, ihn möchtest du also.»
Ich weiß weder, was, noch wen ich will. «Vielleicht», bekenne ich mit tonnenschwerem Herzen.
«Vielleicht?»
Zögernd schaue ich ihn an, öffne den Mund, um etwas zu sagen, und schließe ihn wieder. Ich weiß einfach nicht, was ich sagen soll.
Gabe legt mir eine Hand auf den Rücken. Für einen Moment glaube ich, er will mich küssen. Ich schließe die Augen, denn mit einem Mal wünsche ich mir nichts sehnlicher, als von ihm geküsst zu werden. Sein Haar streicht über meine Wange. «Was muss ich tun, um deine Meinung zu ändern?», fragt er leise.
Mich küssen.
Das ist mein letzter Gedanke. Danach breitet sich in meinem Gehirn Leere aus. Als ich die Augen öffne, wirkt Gabe bekümmert. Stumm betreten wir den Physikraum und setzen uns.
Ms. Billings kommt zu uns und stellt ein paar Geräte vor mir ab. Sie erscheinen mir nur vage bekannt. Ich versuche, mich zu konzentrieren und alles andere zu vergessen. Aber der Schmerz in meiner Brust lässt nicht nach, und das Atmen fällt mir schwer. Wenn Gabe mich anschaut, möchte ich ihn berühren.
Am Schluss der Stunde bin ich völlig fertig mit den Nerven. Ich weiß nicht einmal mehr, welche Versuche ich gemacht habe oder ob überhaupt einen. Eilig stürze ich hinaus auf den Flur.
Luc lehnt an meinem Schließfach. Wortlos nimmt er mich in die Arme und küsst mich. Anschließend öffnet er mein Schließfach und tauscht meine Bücher aus. Seltsam, anscheinend habe ich ihm irgendwann die Kombination verraten.
«Auf zur nächsten Runde mit Mr. Sanghetti», sagt Luc.
Widerstandslos laufe ich neben ihm her zum Gebäude Nummer zwei. Da, wo sonst mein Gehirn war, steckt inzwischen ein Klumpen Watte.
Erst nach dem Geschichtsunterricht komme ich wieder zu mir und halte Luc am Arm fest. «Lass uns heute mal nicht in die Cafeteria gehen.» Ich kann nicht mit Luc und Gabe am selben Tisch sitzen, nicht einmal im selben Raum.
«Hast du einen besseren Vorschlag?»
«Ich habe Kekse und Gummibärchen dabei,
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