Angela Merkel – Die Zauder-Künstlerin (German Edition)
bzw. hilfsweise vom Sprecher aussprechen lassen. Oder schweigen. Oder den Betroffenen kritisieren. Letzteres einmal beiseitegelassen, würde ihr im Fall a) vorgeworfen, zu sehr an der Person zu hängen, das Problem auszusitzen, typisch à la Merkel viel zu lange zuzusehen, anstatt das Problem gleich und mutig anzugehen – so geschehen zuletzt in der Doktortitel-Affäre um die schließlich zurückgetretene Bildungsministerin Anette Schavan, eine ihrer engsten Vertrauten und ganz wenigen echten politischen Duz-Freunde. Im Fall b) wiederum (Schweigen) würde ihr unweigerlich vorgeworfen werden, dass sie, typisch Merkel, mit der eigenen Partei unsolidarisch ist; aus Furcht, sich selber zu beschädigen, verdiente Weggefährten hängen lässt; und überhaupt wieder einmal viel zu lange zuwartet … So ebenfalls geschehen im Wahlkampf des hessischen CDU -Ministerpräsidenten Roland Koch, der 2007/2008 sich anhand eines brutalen Schläger-Überfalls in der Münchner U-Bahn als law&order-Mann profilieren wollte und damit Schiffbruch erlitt.
Wenn sie sich so in die Ecke gedrängt sieht, unfair behandelt fühlt, kann Angela Merkel außerordentlich schmallippig werden. Als Retourkutsche reibt sie den Journalisten dann die eigenen kleinen und großen Ungereimtheiten, Widersprüche oder Bigotterien unter die Nase. Sie geht zum Angriff über. Als die schwarz-gelbe Bundesregierung nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima im März 2011 die nur Monate zuvor beschlossene Verlängerung der Atomkraftwerks-Laufzeiten wieder zurücknahm und die »Energiewende« einleitete, da häuften sich bald die kritischen Fragen, ob bei all’ den ehrgeizigen Fristen und Zielen die Regierung die Sache noch im Griff habe: vom plötzlich unkontrollierten Zuwachs der erneuerbaren Energien über den Netzausbau bis zu den drakonischen Energiespar-Auflagen für Hausbesitzer und natürlich den happigen Preissteigerungen. Merkel konterte verärgert: »Bei Rot-Grün hat niemand gefragt, wie das gehen soll mit dem Ausstieg. Dabei war die Jahreszahl 2022 ganz ähnlich. Bei Schwarz-Gelb werden alle Fragen gestellt.« Oder beim Kampf um den Bundestagsbeschluss zum Euro-Rettungsschirm EFSF , der »dollsten Nummer, die ich in meinem politischen Leben erlebt habe«, wie sie selber sagt. Fünfzig Tage habe es geheißen: Kriegt sie die eigene Mehrheit oder nicht? »Dann hatte ich sie am Ende, und tags darauf war der EFSF nichts mehr wert, weil er angeblich zu klein war.« Wie gemein, möchte sie wohl noch nachschieben, aber diesen Fehler macht Angela Merkel nicht. Sie will kein Mitleid, weil öffentliches Mitleid eine große Stufe auf der Treppe nach politisch ganz unten ist. Aber manchmal will sie sich Luft machen – und dabei doch immer so aussehen, als stünde sie weit, weit über den Dingen.
Zur Wahrheit gehört: Ganz und gar daneben liegt Angela Merkel nicht mit dieser Beschreibung einer sich immer wieder neu aufbauenden Zwickmühle öffentlicher – oder veröffentlichter – Erwartung. Und wenn sie ihren jeweils aktuellen Fall durcherzählt hat, zuckt sie mit den Schultern und fragt: »Sehen Se?« Und zwar in einem Ton, der zu verstehen gibt: ›Ich hab’ euch durchschaut. Längst durchschaut. Aber ich hab’ eigentlich aufgehört, mich zu ärgern.‹
Tatsächlich erheben Publikum und Medien häufig Vorwürfe gegen die Politik, denen ein Politiker nur entgehen könnte, wenn er aufhört, Politik zu machen. Wer notwendige Merkmale des Politbetriebes grundsätzlich in Frage stellt, den kann die Politik nur zufriedenstellen, wenn sie den Betrieb, wie wir ihn kennen, ganz einstellt. Ein paar Beispiele, über die sich auch die Kanzlerin königlich aufregen kann: Diskrete Absprachen sind nicht nur für sie ein notwendiges Element von Politik, aber sie werden verschrien als »Hinterzimmer-Kungelei«. Anhaltendes Verhandeln zwischen naturgemäß unterschiedlichen Interessen gehört auch zur Politik, allzu oft verbuchen es die Medien (auch die BILD ) negativ als »Parteien-Gezänk«. Durchsetzungskraft und Führung sind zwar als politische Eigenschaften gewünscht, in der Praxis aber sehr schnell als »Machtgier« in Verruf. Und dass Politiker allesamt eitel sind, halten viele im Publikum allein deshalb schon für bewiesen, weil Politiker ja unablässig in der Öffentlichkeit stehen.
Derart kurz gedachte »Parteien-Kritik« bringt die Kanzlerin in Rage. Selbsterklärte »Parteien-Kritiker«, die gern als Publikumsjoker den gängigen Talkshows beigemengt werden, hat
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