Angela Merkel – Die Zauder-Künstlerin (German Edition)
Merkel sich 2014 noch einmal in der Opposition machen würde. Würde sie wieder, wie 2003 oder 2005, große Reformen fordern, die sie als Kanzlerin nicht angehen wollte (oder objektiv nicht konnte)? Oder bliebe sie nach ihrer Kanzlerschaft als Oppositionspolitikerin im Modus der Regierenden – so wie der ehemalige SPD -Vizekanzler Frank Walter Steinmeier, der nach seiner Amtszeit als Außenminister in Wahrheit nie wieder in die Rolle eines Oppositionsführers zurückgefunden hat?
Unter dem Strich bleibt: So wie Angela Merkel ihre Wenden und Wandlungen vollzieht, haben sie nichts Ideologisches an sich. Das attestieren ihr politische Freunde und Gegner gleichermaßen. Kleinere oder große Volten: Mal kommen sie über Nacht, mal sind sie erzwungen, mal wohl durchdacht wie eine notwendige Frontbegradigung. Das hat mitunter etwas ärgerlich Beliebiges, keine Frage. Aber mein Eindruck ist: »Politische Beliebigkeit« ist in Wahrheit gar nichts, was Angela Merkel im Kern als Vorwurf wahrnehmen würde. Denn die Lösung für alle Probleme zu allen Zeiten aus einem unveränderbaren Satz von Überzeugungen und Weisheiten ableiten zu wollen – das ist für sie exakt das Rezept, nach dem sich die DDR selbst vergiftet hat. Außenpolitisch heißt das: Mal braucht es für die Lösung die Amerikaner mehr als die Chinesen. Mal geht es ohne die Franzosen, nicht aber ohne die Schwellenländer. Innenpolitisch heißt das: Angela Merkel wäre die erste Kanzlerin, die mit wechselnden Mehrheiten im Bundestag gut zu leben weiß. Aber an diesem Tabu zu kratzen – so weit reicht ihr Mut ganz bestimmt nicht. Nicht in der Zeit, die ihr als Kanzlerin noch bleibt.
Kratzt sie überhaupt noch, was die Journalisten über sie schreiben?
»Sie gehen genau dann, wenn ich es sage.« Der Satz der Bundeskanzlerin kam ganz ohne Ausrufezeichen aus, war aber scharf, schneidend, schnippisch. Ich hab’ hier das Sagen, ich bin hier Chef. Punkt.
Der Beginn eines Interviews für BILD hatte sich verzögert, das Band lief noch nicht, und irgendwie entstand ein kleines Geplänkel, ob die verlorene Viertelstunde nicht hinten drangehängt werden könnte, weil ja, so argumentierten wir, eine volle Stunde zugesagt worden war. Die Kanzlerin sagte einmal Nein und bat um Entschuldigung. Wir hakten nach, drängelten wohl ein wenig, ein Wort gab das andere. Dann kam, aus ziemlich heiterem Himmel dieser Satz, und unwillkürlich schaute man zum Fenster, ob da von innen jetzt die Eisblumen wachsen … Die Kanzlerin hatte die Faxen dicke. Am Ende des Interviews, das gar nicht mal so schlecht ging, erklärte sie, dann wieder versöhnlich: US-Präsident George Bush würde gleich anrufen, und deshalb könne sie partout keine Minute zugeben. Schön, das kann man ja leicht einsehen, selbst als doofer Journalist. Wenn man es denn gesagt kriegt.
Keine Frage, Angela Merkel kann mit Journalisten ganz schön schnippisch sein. Deshalb muss niemand mit uns Schreiberlingen Mitleid haben, wir kriegen ja Gehalt dafür. Aber der Rede wert ist es schon, denn spätestens in den acht Jahren Kanzlerschaft hat sich Angela Merkel einen Panzer zugelegt, eine Art Selbstschutz-Logik. Die geht so: An- und wieder abschwellende Kritik, prasselndes oder verweigertes Lob sind so zyklisch und unveränderbar wie die langjährige mittlere Temperaturkurve durch die Jahreszeiten. Und: Der deutschen Presse kann man es in der Regel eh’ nicht recht machen, egal wie man es macht. Mit solcherlei Ansichten steht Angela Merkel bei weitem nicht allein; die allermeisten deutschen Spitzenpolitiker denken so – und der noch dazu so dünnhäutige SPD -Kanzlerkandidat Peer Steinbrück ganz besonders. Der prägende Nachteil einer solchen Panzerung ist freilich, dass auch objektiv berechtigte Kritik nicht mehr durchschlägt. Und das macht nicht eben klüger.
Weil es ihrem Naturell entspricht, versieht die Kanzlerin ihre Kritik an den Medien fast immer mit dem spürbar pflichtschuldig formulierten Vorschub-Satz »Ich mache den Medien ja keinen Vorwurf« – und dann macht sie genau das, nämlich den Medien einen Vorwurf: Dass diese sich so lange die Maßstäbe ihrer Kritik zurechtbögen, bis es für einen Politiker keinerlei Weg mehr gäbe, sich keine Kritik einzufangen. Beispiel: Wenn Minister ihres Kabinetts oder Spitzenkräfte ihrer CDU in die Kritik gerieten, blieben ihr nach einer ersten Phase der Nicht-Beachtung »denklogisch« (Merkel) drei Möglichkeiten. Dem Kritisierten öffentlich das Vertrauen aussprechen
Weitere Kostenlose Bücher