Angela Merkel – Die Zauder-Künstlerin (German Edition)
sie regelrecht gefressen – was die wiederum natürlich bestärkt, weil sie sich umso mehr als aufrechte Helden fühlen dürfen. Und weil diese Art von Kritik sie so ärgert, hat Angela Merkel ein sehr gutes Gedächtnis dafür. Das umfasst nicht nur eine beeindruckende Menge von Sach-Details, sei es zu Energie-Effizienz, griechischer Strukturkrise oder Seltene Erden. Gespeichert sind auch die Namen der zwei Dutzend wichtigsten deutschen Journalisten und zwei weitere Dutzend Namen von jenen Kollegen, die sie regelmäßiger auf Reisen begleiten (Überschneidungen nicht ausgeschlossen). Die Kanzlerin scheut sich nicht zu loben. Das tut sie nicht platt oder gar anbiedernd, sondern auf Details des jeweiligen Textes zielend. Unterm Strich gibt es aber deutlich mehr Kritik, vor allem an jenen Artikeln und stets auch beim Namen genannten Autoren, die in ihren Augen billige Merkel-Stereotypen verwenden. Dazu zählt etwa der vielfach erhobene Vorwurf, in der Griechenland-/Eurokrise zu lange taktiert und an vielen, vielen Stellen erst Nein, später aber Ja gesagt zu haben. Wieder einmal damit konfrontiert, rutschte Merkel bei einer großen Sommerpausen-Presskonferenz dieser kleine Satz heraus: »Ich hab das nur zur Sicherheit mal mitgebracht …« Nämlich einen Stapel von alten Zitaten bis zurück ins Frühjahr 2010, mit denen sie nachweisen wollte, dass sie schon immer für einen dauerhaften Europäischen Rettungsfonds für Schulden-Staaten gewesen sei (was nachweislich so nicht stimmt; Finanzminister Schäuble hatte der FAZ -Redaktion sogar eine Wette angeboten, dass die Schirme auslaufen würden). Aber da sich keiner der fragenden Journalisten in diesem Moment entsprechend munitioniert hatte, ging die Runde an Merkel. Ätsch, sie lächelte zufrieden.
Zu den billigen Medien-Stereotypen zählt nach Merkels Meinung auch der Vorwurf, sie riskiere politisch nie etwas, weil sie in ihrem Muster des »Vom-Ende-her-Denkens« gefesselt sei. Merkel habe nie »gegen das Volk« regiert und somit ein Führungs-Manko, lautet ein anderes Urteil. Das Faktische an dem Vorwurf wischt Merkel schnell beiseite, verweist auf die Rente mit 67, den Afghanistan-Einsatz, die Milliarden für südländische Euro-Pleite-Staaten und diverse Beschlüsse mehr, die gegen Volkes Mehrheitsmeinung in ihre Amtszeit gefallen seien. Was sie dennoch schwer wurmt, ist der Subtext, der heißt: Da wohnt eine mutlose, chronisch risikoscheue Frau im Kanzleramt. Diese Lesart nimmt sie den Journalisten, die ihr anhängen, ernsthaft übel – und liest trotzdem weiter fast jeden größeren Artikel der Kollegen, ob nun auf dem iPad, auf Zeitungspapier oder Online. Zu den Favoriten zählen dabei die Süddeutsche Zeitung , weil sie sich von dem eher links-liberalen Blatt am häufigsten überrascht fühlt, positiv wie negativ. BILD liest die Kanzlerin im Print wie online, weil sie es wegen der enormen Leser-Reichweite muss (oder glaubt zu müssen). Dasselbe gilt für den Spiegel . Das meiste liest sie nicht zu reservierten Zeiten am Tag, sondern wie ein Junkie zwischendurch: in den letzten Minuten, bevor ein Flieger abhebt etwa oder im Auto.
Insgesamt, denke ich, findet Angela Merkel Journalisten gar nicht so übel. Mit manchen mag sie ernsthaft diskutieren, viele betrachtet sie mit leicht hochgezogenen Augenbrauen, weil sie sich überlegen fühlt. Im Großen und Ganzen schließlich hält sie es wohl mit Willy Brandt: Der nannte den Journalismus seinerzeit einen »Randbereich der Holz verarbeitenden Industrie«.
Was möchte Angela Merkel über sich im Geschichtsbuch lesen?
Glauben Sie keinem Spitzenpolitiker, der in aller Bescheidenheit erzählt, ihm sei, was er hinterlasse, egal. Das ist Gerede, nicht bös‘ gemeint, aber wirklich Gerede. Wenn ein Politiker erst einmal davon ausgeht, dass sich spätere Generationen mit seiner Person und seinen Leistungen beschäftigen werden, dann hat er bald auch eine präzise Vorstellung davon, wie das Ergebnis bitte aussehen möge. Erst recht gilt das für einen Politiker, der qua Amt oder Karriere schon zu seiner aktiven Zeit sicher damit rechnen darf (oder muss), dass nach deren Ende eine Menge geschrieben wird. Jeder von ihnen denkt, Hand aufs Herz, über »seinen« Eintrag ins deutsche Geschichtsbuch nach.
Auch Angela Merkel.
So uneitel sie sonst ist, auch Angela Merkel weiß, dass es im Guten wie im Schlechten einen Nachruhm ihrer Amtszeit geben wird. Sie weiß: Ihr Porträt, gemalt von einem Künstler ihrer Wahl, wird in
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