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Angela Merkel – Die Zauder-Künstlerin (German Edition)

Angela Merkel – Die Zauder-Künstlerin (German Edition)

Titel: Angela Merkel – Die Zauder-Künstlerin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolaus Blome
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vorzuwerfen, ist also unfair. Und ein letzter roter Faden lässt sich bei allem Hin und Her doch erkennen, ein von Anfang auch öffentlich formuliertes Grundmuster. Die Kanzlerin hat für jede Leistung, die sie zugestand, eine Gegenleistung gefordert und fast immer auch erhalten. Für jeden Zug der Hilfe gab es einen Gegenzug in Form von Sparen, Reformen oder Kompromissen im Kreis der Euro-Staaten. Der Soziologe Ulrich Beck hat für diese Methode den Begriff »Merkiavelli« erfunden, geschöpft aus Merkel und Machiavelli. Ihr »machtpokerndes Jein«, ihr Zögern reibe den kreditsuchenden Ländern immer wieder ihre eigene Abhängigkeit von der Wirtschaftsmacht Deutschland unter die Nase. Tatsächlich ist Angela Merkel wohl kaum zu einer der unbeliebtesten und am meisten gefürchteten Politiker in Europa geworden, weil sie immer alles mit sich und mit Deutschland hat machen lassen.
    Ob das Ganze am Ende auch funktioniert, besonders in Griechenland, das steht in den Sternen, wohl wahr. Denn die Kanzlerin hat zwei rote Linien gezogen, die sie tatsächlich bis heute nicht aufgegeben hat – die in Zukunft einander aber ausschließen könnten. Erstens: Der Euro soll an ihr, an Deutschland nicht scheitern. Zweitens: Eurobonds, also die vollständige Vergemeinschaftung der Staatsschulden in der Euro-Zone, werde es mit ihr nicht geben – »solange ich lebe«, sagt die Kanzlerin. An beidem wird sie gemessen werden. Besonders an jenem Tag in der Zukunft, an dem beide Positionen einander womöglich endgültig ausschließen, also nur noch eine der beiden zu halten ist: das Ja zum Euro oder das Nein zu Eurobonds. Und sie weiß das.
    So beschreibt pikanterweise einer der wenigen Wirtschafts-Topmanager, die Merkel noch achtet, ihren Pfad durch die Euro-Krise am besten, am anschaulichsten. Nämlich nicht als Irrfahrt ohne Kompass, sondern als den Weg zu einem Ziel, das freilich nicht ein präziser Punkt ist, sondern eine (Ziel-)Linie, die zwischen zwei recht weit auseinanderliegenden Punkten verläuft. Wo genau auf dieser Ziel-Linie Angela Merkel am Ende jeweils ankommen wird, sagt sie aus Vorsicht nicht – bis kurz vor Schluss. Stattdessen zerlegt sie große Probleme und Zusammenhänge in klitzekleine Einzel-Fragen, moderiert sie auf eine technisch-kühle Temperatur herunter und fällt die einzelnen Entscheidungen in möglichst großem Zeitabstand voneinander. Ob diese Bewegung in Richtung Ziel jeweils eine schnurgerade Strecke von A nach B ergibt oder nicht, das ist für Angela Merkel nicht kriegsentscheidend. Für sie zählt, die beschriebene Ziel-Linie zu erreichen, nicht einen bestimmten Ziel-Punkt. Mehr als 70 Prozent der Deutschen scheint diese Art des Vorgehens nicht zu stören. Im Gegenteil, sie bescheinigen der Kanzlerin in Umfragen gute bis sehr gute Arbeit, gerade in der Euro-Krise. Auch das sollte manchem Kritiker zu denken geben; es ist nämlich nicht wahrscheinlich, dass 70 Prozent aller Deutschen schlichtweg blöd sind.
    Bleibt die erste Kategorie der Kehrtwenden, die ohne nachweisbare Not. Dazu zählen unter anderem die Rücknahme der Atom-Laufzeitverlängerung und die Enthaltung bei der UN-Abstimmung über eine Militär-Intervention in Libyen. Angela Merkel kann beide Volten nach wie vor nicht erklären, nicht aus ihren bisherigen politischen Überzeugungen, aber auch nicht aus nachhaltig veränderten Realitäten. Das ist verstörend.
    Im UN-Sicherheitsrat brach die Bundesregierung mit der jahrzehntealten Regel, sich niemals anders zu positionieren als die USA und/oder Frankreich. Stattdessen fand sich der deutsche UN-Botschafter Peter Wittig im Frühjahr 2011 zu seinem eigenen, ohnmächtigen Zorn an der Seite Chinas und Russlands wieder, die sich auch enthielten. Warum und wozu? Keine Antwort, zumindest keine, die überzeugt. Alles, was Kanzleramt und Außenministerium zu bieten haben, sind kleinlaute Verweise auf Pannen bei der Abstimmung mit den Amerikanern. Das glaubt niemand.
    Ähnlich die Atom-Volte. Wer wie Angela Merkel sein ganzes politisches Tun demonstrativ auf das ruhige Abwägen vieler verschiedener Faktoren abstellt, der lässt Freund und Feind ratlos zurück, wenn er diese Methode plötzlich über Bord wirft. Die Kanzlerin hatte über zwei Jahrzehnte eine durchdachte Position zum allseits bekannten »Restrisiko« von Atomkraftwerken: Sie hielt es für akzeptabel, zumindest zu den technischen, geografischen und geologischen Bedingungen in Deutschland. Der Unfall am 12. März 2011 in Japan geschah

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