Angela Merkel – Die Zauder-Künstlerin (German Edition)
nach Merkels Geschmack. Die Höhe des Einsatzes im Übrigen auch, der Fortbestand des Euro. Da war jemand angekommen bei seinem Projekt.
Gewiss, das hatte sich schon eine Zeitlang vor diesem 14. November 2011 angebahnt. Europa-Politik hat die Kanzlerin früh fasziniert, weil der »Brüsseler« Betrieb ihre Leidenschaft für komplexe, aber berechenbare Prozesse bedient. Weil es fast immer ums ganz Kleine und ganz Große zugleich geht; weil, wenn es gelingt, mit Spiegelstrichen gleichsam Geschichte geschrieben wird. Und weil Technokraten sich in Brüssel nicht schämen müssen, dass sie wie Technokraten Politik machen. Schon 2007, bei der Rettung des EU-Verfassungsprojektes ist die Kanzlerin deshalb in ihrem Element. Heimst partei- und länderübergreifend Lob für ihre Verhandlungen ein, führt die Europäische Union zum abgespeckten neuen »Lissaboner Vertrag«. Aber, wichtiger Punkt: Angela Merkel agiert in dieser Krise nach dem alten Muster der Kohl, Mitterrand, Gonzales und Juncker. Bis Mitte 2008 wird über Nebenprotokolle, Sonderwünsche und sonstige Kleinigkeiten verhandelt, um es allen recht zu machen, vor allem den »Kleinen« wie den Iren oder Tschechen. Der Langsamste bestimmt wie stets das Tempo des ganzen Konvois, und alle Vorgänger Merkels hatten sehr viel Geduld, das nachkriegsdeutsche Maß an Geduld. Die Verhandlungsvariante »Ja oder Nein«, »Friss oder stirb« ist auch für die damalige Kanzlerin der großen Koalition keine, mit der man es ernsthaft einmal versuchen könnte. Im Kreis ihrer Berater sagte Merkel damals, 2008, gemünzt auf die 27 EU-Mitgliedsstaaten: »26:1, das wäre eine völlig neue psychologische Situation.« Eine solche Spaltung dürfe gerade Deutschland niemals auf Dauer zulassen. Der Wandel hin zu einem unverhohlenen, mitunter sogar genervten deutschen Führungsanspruch zeichnet sich erst im Laufe des Jahres 2010 ab. Weg von der Kohl’schen Engelsgeduld mit allen und jedem, hin zur »Eisernen Kanzlerin« (wie BILD sie foto-montierte), die der Vorwurf von deutscher Dominanz in der Gemeinschaft nicht mehr groß einschüchtert. Als es um die Einbindung des Internationalen Währungsfonds in die Euro-Rettung geht, ist anfangs selbst ihr eigener Finanzminister gegen sie, von den übrigen Euro-Staaten ganz zu schweigen. Doch Merkels Haltung lautet sinngemäß: ›Ich stehe ziemlich allein in der EU. Aber das ist mir egal. Ich habe recht.‹ Der entscheidende Satz wird so zitiert: »Die anderen wissen: Ohne mich geht nichts.« Die anderen, das sind 26 andere EU- bzw. 16 andere Euro-Staaten. Alle, außer Deutschland. 2008 war 26 : 1 kaum denkbar, auch für den Fall, dass die Deutschen bei den 26 wären, also nicht isoliert. Jetzt ist 1 : 26, eine harte Spaltung, keine ernsthafte Katastrophe mehr – sogar auch dann nicht, wenn die Deutschen gegen den ganzen Rest stehen. »Wir sind in Europa, was die Amerikaner in der Welt sind«, so wurde Merkel von Teilnehmern vor nicht allzu langer Zeit aus einer größeren Runde zitiert. Und Führungsnationen werden nie geliebt. Die Verfechter harter Sparmaßnahmen heißen in Südeuropa nicht umsonst »Merkelisten«.
Was für ein Wandel, was für eine Verantwortung. Das sieht man sogar am anderen Ende der Welt so. Merkels Lieblings-Staatschef, der Inder Manmohan Sing, formulierte es beim G-20-Treffen Mitte 2012 so: »Es ist die größte Aufgabe Deutschlands, den Euro zusammenzuhalten.« Das also wird Merkels Mantra. Es ist die wichtigste einzelne Verschiebung der politischen Koordinaten in der Republik seit der Agenda 2010.
Dass ihr FDP -Außenminister und damaliger Vizekanzler Guido Westerwelle den Umbruch zunächst nicht wahrhaben will, ficht die Kanzlerin nicht an, genauso wenig übrigens wie Titel-Cover ausländischer Magazine oder Protestplakate bei Demonstrationen, die sie in Nazi-Uniform zeigen. Westerwelle sieht in der mitunter ruppigen Auseinandersetzung etwa um griechische Sparprogramme oder allzu üppige Urlaubsansprüche griechischer Beamter nicht neue europäische Innenpolitik, sondern einen Rückfall in üble, nationalistische Vor-Zeiten. Westerwelle deklinierte noch nach den Regeln Genschers und Kohls. Seine Chefin dagegen war einen Schritt weiter. Sie lässt den Ton spürbar verschärfen, bis ihr Abteilungsleiter Europa zur Jahreswende 2011/2012 halböffentlich, also mit dem Absender »Regierungskreise« gegen die Brüsseler EU-Kommission wettern darf und deren Versuche, die Euro-Krise mit einem Griff in die »typische Brüsseler
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