Angela Merkel - Ein Irrtum
schon mal gar nicht zu jenen Vorzeige-Ossis, mit denen man sich in den linksintellektuellen westdeutschen Salons einig war, dass Erich Honecker auch nicht viel schlimmer sei als Helmut Kohl. Erst recht gehörte sie nicht zu den alten Kadern, zu den Wendehälsen, den geschickten Profiteuren.
Angela Merkel wusste, was sie wollte, und zwar etwas, von dem die, die es bereits besaßen, gern abrieten. Sogar der Bundespräsident, der damals Richard von Weizsäcker hieß, warnte noch im Januar 1990 davor – vor »Siegesfeiern des westlichen Lebensmodells«. 8 Sie aber wollte genau das, dieses westliche Modell ohne Wenn und Aber, sie wollte Freiheit, Demokratie, Kapitalismus. Ganz ohne die in Westdeutschland zum guten Ton gehörende ironische Distanz (mit systemkritischem Einschlag) tat sie etwas Ungewöhnliches: Sie nahm das Versprechen des Westens ernst, das Menschenrecht, nach dem eigenen Glück zu streben.
Vielleicht hätten die westdeutschen Eliten damals öfter in diesen Spiegel schauen sollen, statt auf die Ostalgiker zu schielen, die sich als wahre Stimme der »Menschen der DDR« empfahlen. Vielleicht wäre die Wiedervereinigung dann eher eine für alle spürbare Erfolgsgeschichte geworden. Denn in der Feier – von Freiheit, Demokratie und Marktwirtschaft – verbarg sich ja nicht nur ein schnödes Überlegenheitsgefühl, hier lag auch die Chance für einen Neuanfang und eine Neubewertung der Vergangenheit. 9 Nicht nur die DDR-Bürger mussten sich von der trügerischen Sicherheit im Arbeiter- und Bauernstaat trennen. Auch in den kuscheligen Westen Deutschlands strömten durch den geöffneten »Eisernen Vorgang« die Fröste der Freiheit ein. Dort hatte man es sich lange in einer von anderen geschützten Nische der Weltpolitik gemütlich gemacht, soziale Sicherheit genossen und Freiheit für einen zusätzlichen, nicht weiter bemerkenswerten Bonus gehalten.
Warum nur bemühte sich die politische Elite, die Freude
möglichst zu dämpfen und vor allem den Westbürgern den Stolz auf Errungenes auszutreiben? Wollte man wirklich nur auf die Gefühle der armen Verwandten aus dem Osten Rücksicht nehmen? Oder konnte man sich nicht vorstellen, dass die Brüder und Schwestern mehr erhofften und mehr zu gewinnen hatten als Bananen und die D-Mark, was konsumkritische Feingeister ihnen alsbald vorhielten? War es so unvorstellbar, dass die Ossis die westlichen Errungenschaften, deren bisherige Nutznießer schon bei ihrer Erwähnung müde abwinkten, freudig begrüßen könnten? Oder wollte man die Steuerzahler durch ein bisschen Miesmacherei einstimmen auf die Kosten, die auf sie zukommen würden?
Angela Merkel erblickte ein Reich der Möglichkeiten, wo verwöhnte Wohlstandsbürger, denen die Maßstäbe abhanden gekommen waren, nur noch das Jammertal sehen wollten. Die fanden das natürlich naiv. Und so erfuhr sie früh, mit welch tapsigem Wohlwollen Männer im Westen Frauen zu unterschätzen pflegen – erst recht, wenn sie aus der DDR kamen. Als Ossi galt sie als naiv. Und als Frau hielt man sie für dumm genug, nicht mehr als die Marionette des großen Paten zu sein.
Helmut Kohls Bemühen um Frauen in Spitzenpositionen ausgerechnet in der konservativen CDU galt Oppositionspolitikern, die noch nicht so weit waren oder der Partei angehörten, die eine Frauenquote für ihr Alleinstellungsmerkmal hielt, als vorgeschoben. Die mit Ämtern betrauten Damen konnten ja nur Alibifiguren sein. Rita Süssmuth – ein bloßes Feigenblatt? Man unterschätzte die Person.
Noch leichter schien es, Angela Merkel zu unterschätzen. »Kohls Mädchen« wirkte mit ihrer freundlich-burschikosen, ja harmlosen Art in der Tat oft wie ein manipulierbares Geschöpf von seinen Gnaden, bis sie den angeschlagenen CDU-Vorsitzenden zum Jahresende 1999 ebenso beiläufig wie eindeutig erledigte.
Heute sieht es so aus, als ob sie dessen CDU gleich miterledigt hätte, mitsamt dem Marktliberalismus, den sie einst propagiert hat. Manch einer fühlt sich unter Muttis Fittichen wieder bei einer kapitalistisch aufgemotzten DDR angelangt.
Was hat sich geändert? »Angies« Unbefangenheit war ihre Stärke gewesen. Freiheit, Demokratie und das, was sie später »Wir-Gesellschaft« nannte, eine arg kuschelige Variante der »Neuen sozialen Marktwirtschaft«, waren nicht die schlechtesten Projekte.
»Tina« aber sind Unbefangenheit und Engagement spürbar abhandengekommen. Der Aufbruch ist versandet. Und ganz Deutschland liegt wieder unter der warmen Decke des
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