Angela Merkel - Ein Irrtum
anderen, von den westlichen Bündnispartnern, mit Waffengewalt und Drohpotenzial geschützt wurde. Während in der DDR die Tatsache der Blockkonfrontation
alltäglich sichtbar war – die NVA war bis an die Zähne bewaffnet und bis zum Schluss in Alarmbereitschaft – , hielt man im Westen unter der alles erstickenden Drohung des Dritten Weltkriegs lieber still.
Als Heiner Geißler auf dem Höhepunkt der Friedensbewegung 1983 die provozierende Äußerung tat, dass der Pazifismus der 30er-Jahre »Auschwitz erst möglich gemacht« habe, war man in der Friedensbewegung hell empört. Gemeint war zwar die britische Appeasement-Politik, aber der Mangel an historischem Sinn der meist jungen Friedensfreunde ließ die Vorstellung nicht zu, dass der doch umstandslos gute Wunsch nach Frieden Hitler den Weg geebnet haben könnte. Ebenso heftig hatte man 1981 auf die Bemerkung des damaligen amerikanischen Außenministers Alexander Haig reagiert, es gebe »Wichtigeres als Frieden«. Ja, gewiss: zum Beispiel die Freiheit, für die polnische Arbeiter auf die Straße gingen und sich den sowjetischen Panzern entgegenstellten. Deutschen Politikern wie dem Sozialdemokraten Egon Bahr galt das als polnischer »Egoismus«, der die Sowjetunion belästige und damit den Status quo gefährde.
Das alles war 1989 noch nicht lange her und prägte das Selbstbild Westdeutschlands auch dann noch, als seine Bündnispartner von einem wieder souveränen und geeinten Deutschland erwarteten, dass es seine Stärke auch einsetze. Vor allem die Westdeutschen konnten nur schwer aus ihrer Haut.
Worauf will ich hinaus? Auf das Außerordentliche der historischen Situation, in der Angela Merkel die politische
Bühne betrat. Kaum einer hüben wie drüben hatte mit der Auflösung des sowjetischen Imperiums gerechnet. Und kaum jemand mit so einer Gestalt wie Angela Merkel.
Nichts, aber auch gar nichts sprach dafür, dass sie es einmal zur Bundeskanzlerin Deutschlands und damit zur mächtigsten Frau der Welt bringen würde. Für einen kurzen historischen Moment hatte man als Außenseiter mit gleich drei politikfernen Merkmalen – Frau, Ossi, Physikerin – sicher besonders gute Chancen. Ihr kontinuierlicher Aufstieg zur Macht im westlich dominierten vereinigten Deutschland aber war und bleibt unwahrscheinlich.
Angela Merkels Existenz in der DDR: trotz FDJ-Mitgliedschaft und Studienaufenthalt in Russland eher unauffällig. 4 Der Vater staatstragend, die Mutter weniger. Und Angela, dank Westverwandter, immer in Westklamotten. Sie war nicht glühend regimetreu, trotz FDJ-Mitgliedschaft, aber auch nicht ernsthaft regimekritisch. Sie gehörte nicht zu den Spitzen und wohl auch nicht zu den Spitzeln des Systems, aber ebenso wenig zu den Dissidenten, den Ausgestoßenen und Geächteten, den Gefährdeten und Verletzten. Sie riss keine Mauern nieder, war aber eine der Ersten, die durch die entstandene Lücke schlüpfte. 5 Sie nahm nur ihre Saunatasche mit, aber keinen ideologischen Ballast. 6
Angela Merkel näherte sich nach der Wende 1989 eher beiläufig der Politik, wurde fast zufällig erst Pressesprecherin des Demokratischen Aufbruchs, dann stellvertretende Sprecherin des ersten und letzten frei gewählten Ministerpräsidenten der DDR Lothar de Maizière und war bereits
im Januar 1991 Bundesministerin für Frauen unter Bundeskanzler Helmut Kohl. Der Rest der Geschichte ist bekannt.
Sie selbst sieht das sachlich: Sie habe nur die Möglichkeiten der neu gewonnenen Freiheit gezielt ergriffen, nicht mehr und nicht weniger. Sicher, das verlief nicht ohne männliche Förderer, von denen sie sich trennte, sobald sie nicht mehr nützten. 7 Und ihr kam entgegen, dass sie irgendwann die letzte Ostpolitikerin mit halbwegs sauberer Biografie war, die man noch vorzeigen konnte.
Dennoch bleibt ihre Karriere beispiellos.
Auf den Bildern von 1990 oder 1991 sieht man eine junge und etwas unbedarft wirkende Frau, wie man sie eher bei den Grünen vermutet hätte. Sie schien eine der typischen Gestalten aus der Bürgerrechtsbewegung der DDR zu sein, unglamourös und schlecht gekleidet. Und man musste fürchten, dass sie gleich die Klampfe hervorholen und zu singen beginnen würde.
Welch ein Irrtum. Sie pflegte keinen Dissidentenhabitus, sie war ja keine Dissidentin gewesen. Sie träumte nicht vom Dritten Weg oder einer besseren DDR und wäre wohl, anders als etwa Bärbel Bohley, nicht auf die Idee gekommen, Gerechtigkeit einem funktionierenden Rechtsstaat vorzuziehen. Sie gehörte
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