Angela Merkel - Ein Irrtum
Zeit die demokratischen
Prozesse weit ehrlicher und durchsichtiger abgelaufen sein als im eingefahrenen System der Bundesrepublik und des vereinigten Deutschlands, wo mächtige Lobbys und parteitaktische Erwägungen dominieren und die »Sache« hinter allerlei sachfernen Rücksichten zu verschwinden droht.
Als stellvertretende Regierungssprecherin begleitete Angela Merkel den Ministerpräsidenten Lothar de Maizière überdies auf seinen Antrittsreisen unter anderem in Moskau, London und Paris. Solche Erfahrungen in so kurzer Zeit sammelt man nicht auf einer Ochsentour, vom Ortsverband aufwärts.
»Sie kann es nicht«? Männliche Überheblichkeit.
Andererseits fehlte es Angela Merkel ja tatsächlich an etwas. Sie hatte keine Hausmacht. Und sie hatte mächtige Gegner, nämlich alle aufstrebenden Männer ihrer eigenen Partei.
Die Männer vom »Andenpakt«. 1979 gegründet, 2010 gescheitert. An Angela Merkel. Fünfzehn gestandene Westpolitiker, darunter Roland Koch und Ole von Beust, Friedrich Merz und Christoph Böhr, Friedbert Pflüger und Christian Wulff. Sie alle haben sich heute entweder aus der Politik zurückgezogen oder sind von Angela Merkel mit einem Posten ruhiggestellt worden. Von einem Ostmädel, einem »historischen Unfall«, von »Mutti«.
Auch die Männer vom »Andenpakt« hatten sie unterschätzt, hielten sie für eine Übergangslösung, für eine, die gerade gut dafür war, nach dem Wahldesaster 1998 und der Spendenaffäre aufzuräumen und den nötigen Vatermord
an Helmut Kohl zu begehen. In jenem berühmten Artikel in der »FAZ« vom Dezember 1999 empfahl sie ihrer Partei, sich »wie jemand in der Pubertät« von zu Hause zu lösen und eigene Wege zu gehen. So wie sie es tat. Damals bewies Angela Merkel im richtigen Moment Mut und nahm keine störenden Rücksichten. Sie war die Einzige, die das konnte, die Einzige, die nicht verstrickt und nicht belastet war.
Das war Frauenarbeit, wie man sie kannte. Frauen machen, wie gesagt, den Dreck weg. Sie räumen auf. Eben wie Angela Merkel, die ihrer Partei das Schicksal ersparte, angekettet am gestürzten Koloss Kohl elendiglich zugrunde zu gehen.
Doch damit hatte sie ihre Pflicht und Schuldigkeit getan, glaubten die Männer in der CDU und setzten für die Bundestagswahl 2002 nicht auf sie, sondern auf Edmund Stoiber. Es war Roland Koch, der sie im Januar 2002 anrief und ihr jede Unterstützung für eine Kanzlerkandidatur aufkündigte.
Merkel gewann, indem sie nachgab. In geheimer Mission flog sie nach München und reiste von da aus weiter zu Edmund Stoibers Haus in Wolfratshausen, zum Frühstück. Als Vorsitzende der CDU bot sie Stoiber die Kanzlerkandidatur an. Damit eroberte sie sich die Handlungshoheit zurück.
Ihrer fernöstlichen Kampftechnik – den Angreifer kommen lassen und seine Kraft gegen ihn selbst wenden – waren die Gegner erlegen. Der »Andenpakt« der einstmals Jungen Wilden: ein Film von gestern. Angela Merkel, der
»historische Unfall«, wurde für die CDU das, was sie heute zum Schlüsselwort ihrer Politik macht: alternativlos.
Angela Merkel hat sich gegen die Verachtung ihrer Gegner, die sie als »zweite Liga« abwerteten, und ihrer »Parteifreunde«, die sie »Oberschwester« titulierten, durchgesetzt. Sie hat sie alle überlebt. Sie hat sich gewandelt und gehäutet dabei. Aber ihr ist das Unmögliche gelungen: sich als Frau und als Ostdeutsche auf dem Affenfelsen der Macht zu behaupten.
Und einer war in diesem Kampf besonders wichtig: Gerhard Schröder. Die Reformerin Merkel – wollte sie sich nicht damit gegen Schröder profilieren? Der Agenda-2010-Schröder – wollte er damit nicht Merkel den Wind aus den Segeln nehmen? Und war Angela Merkels Imagewechsel zur weicheren, gestylten Frau nicht auch ein Versuch, den Vorwurf der Distanziertheit und der »sozialen Kälte« zu entkräften?
Man könnte in Versuchung kommen, ihren um 2002 beginnenden Imagewechsel als nicht nur taktisches Manöver, sondern als eine Strategie gegen Schröder zu lesen. Diese Strategie ist aufgegangen, wenn auch nur haarscharf.
Angela Merkel hat Gerhard Schröder mehr als einmal Rache geschworen für die Unverfrorenheit, mit der er sie als Umweltministerin bloßgestellt hatte. Nimmt man sie beim Wort bei dem, was sie Herlinde Koelbl gestand, die sie von 1991 bis 1998 Jahr für Jahr fotografiert und befragt hat, dann hat sich ihr Politikverständnis insbesondere durch die Kämpfernatur Schröder verändert.
1998, als sie Generalsekretärin der CDU
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