Angela Merkel - Ein Irrtum
beschützenden Staates. Heim zu Mutti.
Doch dahin wollten wir eigentlich nicht zurück, und schon gar nicht unter den Fittichen von Angela Merkel.
Von der Unterschätzten zum Racheengel
Ja, ich weiß, wer enttäuscht ist, hat sich getäuscht. Wer sich irrt, ist einer Projektion erlegen. Aber ich bleibe dabei: Bei Angela Merkels Sturz ist die Fallhöhe von Bedeutung. Sie hat sich gewandelt, sich immer wieder geschmeidig angepasst. Das nennen wir Opportunismus. Doch man kann es auch als eine Reihe von geschickten Schachzügen ansehen.
Sie wollte siegen. Und sie wollte Rache. Und dabei kam ihr sehr entgegen, dass sie stets unterschätzt wurde.
Wer sich Bilder von der Frauenministerin 1991 anschaut, sieht ein unscheinbares Mädel mit unvorteilhaftem Bubischnitt und leichtem Doppelkinn, das Helmut Kohl anhimmelt. Wer genauer hinsah – wie die Fotografin Herlinde Koelbl 10 –, sah sehr wache, sehr helle, sehr schöne Augen. Ungeschminkt.
Sie nahm noch nicht einmal Lippenstift, was man auch bei den frauenbewegten Grünen längst durfte, sie hasste das Aufgestylte. Aber sie hatte damals auch nichts Damenhaftes oder Mütterliches, wie es zum konservativen Image der CDU gepasst hätte. Als Fähnleinführerin einer Pfadfindertruppe war sie vorstellbar oder als tüchtige Leiterin einer Großküche. Vielleicht noch als Physikprofessorin. Aber als Frauenministerin?
Doch war das Bild vom hässlichen Entlein nicht vor allem eine Optik, die in den Bildredaktionen der Zeitungen zustande kam? Je nach Popularität wurde entweder die strahlende oder die griesgrämige Angela Merkel mit den hängenden Mundwinkeln gezeigt. Erst seit sich der Respekt vor dem Amt auch mit ihrer Person verbindet, dominieren die Bilder, in denen sie blitzende blaue Augen und ein offenes Lächeln zeigt. Gewiss, mittlerweile ist sie »gestylt«. Aber vielleicht hat man sich auch an sie gewöhnt.
Damals jedenfalls nahm sie niemand ernst. Auch nicht frauenbewegte Frauen, denn Angela Merkel zeigte sich völlig unempfänglich für den Kampf gegen das Patriarchat. In der DDR galten Frauen als emanzipiert, weil jeder arbeiten musste, auch die patenten Muttis. Ganz einfach. 11
»Ich glaube, dass es der Mehrzahl der Frauen um sehr pragmatische Dinge geht«, erklärte sie, und kündigte den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz an, was ihre Kritiker prompt ans gemeinsame »Topfen« in den DDR-Tagesstätten gemahnte. 12 Zugleich schaffte sie den prominent besetzten »Beirat Frauenpolitik« ab, den ihre Vorgängerinnen einberufen hatten. Den darin repräsentierten westdeutschen Feminismus hielt sie offenbar für entbehrlich.
War ihre Berufung also womöglich die subtile Rache von Helmut Kohl an Rita Süssmuth und all den anderen aufs Frauenthema abonnierten Westpolitikerinnen gewesen? Dann muss man sie als gelungen bezeichnen. Angela Merkel strafte den Feminismus mit Verachtung, empfand die hart erkämpfte Frauenquote in ihrer Partei als »etwas
Degradierendes und Ehrenrühriges« und hielt ganz offenkundig den »professionellen Opfergestus der Emanzenbrigade für eine intellektuelle Zumutung«. 13
Sie schien sich noch nicht einmal fürs eigene weibliche Schicksal sonderlich zu interessieren. »Ich glaube nicht, dass es ein Vorteil oder ein Nachteil ist, eine Frau zu sein. Es kommt mehr darauf an, dass man sich durchsetzt«, sagte Angela Merkel im Oktober 1991, kurz nachdem sie Frauenministerin geworden war. 14 Alle Welt bemühte sich fortan redlich, ihr ihren Irrtum nachzuweisen. 15
Aber war es einer? Und hatte sie nicht womöglich recht mit ihrer späteren Vermutung, dass man sie weniger als Frau, sondern als unwissende Ostdeutsche diskriminierte? »Sie kann es nicht« bezog sich nicht nur auf »das Mädchen«, sondern auch auf die DDR-Pflanze. Ein Lehrgang in Demokratie war das Leben in der DDR ja wohl nicht gewesen, oder?
Irrtum. Angela Merkel hatte einen Lehrgang hinter sich, sie hatte Politik gelernt, im Schnellverfahren, nämlich in diesen magischen, zeitentrückten 181 Tagen zwischen dem 12. April und dem 3. Oktober 1990, als es in der DDR die erste und einzige frei gewählte Regierung gab. In diesen 181 Tagen tagte die Volkskammer neununddreißigmal, wurden 164 Gesetze und 93 Beschlüsse verabschiedet, hat man die DDR nach allen Regeln der Kunst abgewickelt. Und für diese enorme Leistung auf einem gänzlich fremden Terrain musste man sich aus dem Westen auch noch als »Laienspielschar« beschimpfen lassen.
Dabei dürften in dieser kurzen
Weitere Kostenlose Bücher