Angela Merkel
mal deutlich, dass er einer ist, der mit einer jungen Frau etwas anzufangen weiß. Er trank kräftig, liebte Zigarren, spielte regelmäßig Skat mit seinen Freunden im Kanzleramt und polterte schon mal rum. Malerei bedeutet ihm etwas. Am Wahlabend schnappte er sich meinen Kollegen Matthias Geyer, der kritisch über ihn berichtet hatte, und fauchte ihn an, er solle bloß aufpassen. Auch bei ihm gab es immer wieder Sätze und Szenen, in denen sich ein Mensch zeigte.
Und bei Merkel?
Es ist eine große Frage ihrer Kanzlerschaft, welches Gemüt dort regiert, welche Temperatur. Ein viel beachtetes Ereignis ihrer ersten Jahre im Amt war das Foto, das sie vor der Oper in Oslo zeigt. Sie trug ein Kleid mit einem tiefen Ausschnitt. Es gab eine Menge Aufregung, das Foto wurde oft gedruckt, oft kommentiert. Was bedeutet das? Was will sie uns damit sagen? Gibt es eine politische Botschaft des Busens? Es steckte viel Überraschung darin. Ein Busen, eine Frau also. Als hätte man das schon vergessen.
Dabei war eine große Frage vor ihrem Amtsantritt: Was wird anders sein, wenn eine Frau ins Kanzleramt einzieht? Ihre Vorgänger Kohl und Schröder haben ihre Rollen deutlich männlich ausgeübt. Würde nun alles anders werden? Was ist weibliche Machtsymbolik?
Schröder war Körperpolitiker. Er schüttelte unendlich viele Hände, umarmte, fasste an Ärmel, klopfte auf Schultern. Und Schulterklopfen ist auch Machtausübung. Wer klopft, herrscht. Schröder zog sich das Sakko aus, wenn er eine Wahlkampfrede hielt. Jetzt wird gearbeitet, hieß das, jetzt kommt totales Engagement, für euch, die Zuhörer.
Merkel kann sich nicht das Sakko ausziehen, für eine Bundeskanzlerin gibt es im Alltag nur Hochgeschlossenheit, Verpanzerung, weil ein Busen allzu leicht hysterisiert werden kann, siehe Oslo. Sie trägt immer einen Hosenanzug, die Jacke bis oben zugeknöpft, Kleidung von höchster Sachlichkeit, Schmucklosigkeit, das Gegenstück zum männlichen Anzug. Zwar variiert die Jackenfarbe, aber darin steckt genauso viel Aussage wie in der Varianz von Krawatten, in der Regel keine. Mit ihrer Kleidung hat sich Merkel neutralisiert.
Körperpolitik ist schwierig für sie. In der Regel hat sie es mit Männern zu tun, da muss sie sich vor den Augen der Kameras vor allem hüten, was zweideutig wirken könnte. Zurückhaltung also auch hier. Deftiges Schulterklopfen steht ohnehin nicht im Gestenkatalog für Frauen. Bei ihnen wirkt das deshalb noch anmaßender. So fiel die männliche Machtsymbolik weg, wurde aber auch nicht durch eine weibliche ersetzt. In dieser Hinsicht erlebten die Bürger in den vergangenen Jahren Neutralität.
Aber das stimmt nur für die Politik im Inneren, für ihren Umgang mit den deutschen Kollegen. Von ihren Kollegen aus dem Ausland wurde die deutsche Bundeskanzlerin zunächst als Dame behandelt. Es gab immer eingroßes Geherze und Geküsse, die Herren gaben sich charmant und zuvorkommend und machten ihr mit kleinem Augenzwinkern den Hof. Das konnten sich auch nur Leute wie George W. Bush, Tony Blair oder Jacques Chirac erlauben, weil sie auf derselben Hierarchiestufe standen wie Merkel. Da darf man auch ein bisschen miteinander spielen.
Merkel spielte da mit. Sie spielte in diesen Momenten nicht Dame, aber Mädchen, auch mit Augenzwinkern. Es gefiel ihr, so umschwärmt zu werden, und den Männern gefiel, dass es ihr gefiel. Man hatte es nett miteinander. Das war die Atmosphäre, in der Merkel ihre außenpolitischen Erfolge erzielt hat. Man kann sogar sagen, dass gespielte Mädchenhaftigkeit eine Voraussetzung dieser Erfolge war. Merkel ist auch hartnäckig, aber diese Hartnäckigkeit wirkt für einen Mann nicht so bedrohlich, wenn sie mädchenhaft daherkommt.
Damit ist zum Teil erklärt, warum Merkel außenpolitisch zunächst relativ erfolgreich war, innenpolitisch aber nicht. Innenpolitisch wirkt dieses Verhalten nicht. Es ist ein bisschen so wie in Partnerschaften. Wenn man sich über Jahre fast täglich sieht, lässt die Zuvorkommenheit füreinander nach. Merkel wird von ihren Kollegen in Deutschland kaum noch als Frau wahrgenommen, sondern eigentlich nur noch als Politikerin. Und die Innenpolitikerin verhält sich auch nicht mädchenhaft. Sie hat mit fast allen deutschen Spitzenpolitikern heftige Kämpfe ausgetragen, sie hat verletzt und ist verletzt worden. In solchen Kreisen spielt man eher Kerl als Mädchen.
Ein Teil von Körperpolitik ist Gestik. Merkel ist da sparsam, aber es gibt ein paar Muster. Wenn sie
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