Angela Merkel
wurde auf den Kopf gestellt, aber derBundeskanzlerin fehlten die Worte dazu. Sie ließ die Bürger allein mit ihren Sorgen oder stürzte sie noch weiter in Verwirrung. Als sie an einem Sonntag Anfang Oktober den Bürgern versichern wollte, dass ihre Spareinlagen sicher seien, hat sie das so verquast, so ungeschickt gemacht, dass das Kanzleramt kurz darauf eine Klarstellung nachschieben musste.
Reden sind immer eine Möglichkeit, sich deutlich, sich kenntlich zu machen. Merkel ist das nicht gelungen. Gegen Mitte der Legislaturperiode hat das einen Mann unruhig gemacht. Das war Norbert Röttgen, Parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag. Er ist einer der klügsten Köpfe dort, er hat sich eine kleine Gruppe von Denkern zusammengestellt, mit denen er über die großen Themen der Globalisierung diskutiert. Und er ist ein Bewunderer von Barack Obama, dem amerikanischen Präsidenten. Als der noch Kandidat war, hat Röttgen ein Interview gegeben, in dem er dessen Redekunst gerühmt hat, und damit war Rhetorik erst an zweiter Stelle gemeint. Röttgen bezog sich vor allem auf Obamas Kunst, die Bürger zu erreichen, ihnen eine Idee von dem zu geben, warum sie Bürger sein sollen, also Interessierte, Mitmachende, Mitglieder einer Gesellschaft. Wer wollte, konnte dieses Interview als Kritik an der Bundeskanzlerin lesen. Ihre Reden versinken rasch in einem Kleinklein, in einer Betrachtung von Stellschrauben. Warum muss der Gesundheitsfonds so organisiert sein und nicht anders?
Alle Politiker suchen nach einem Wort wie WillyBrandts »mehr Demokratie wagen«. Sie liegen nicht auf der Straße, man muss eine Idee haben von seinem Land und eine Idee davon, wie man es verändern möchte. Angela Merkel hat in ihrer Kanzlerschaft weder eine solche Idee mitgeteilt, noch hat sie versucht, eine umzusetzen. Sie verlegte sich auf das politische Ingenieurswesen, die Arbeit an den Stellschrauben. Die aber findet naturgemäß eher in den Kammern statt als auf den Marktplätzen. So durfte sich der Bürger durchaus alleingelassen fühlen von seiner Kanzlerin. Sie ließ sich nicht oft blicken.
Der Kontakt zum Bürger ist ja ohnehin nicht ihre Stärke. Ich habe sie im Wahlkampf 2005 oft beobachtet, ich habe auch Gerhard Schröder oft beobachtet. Wenn er eintraf, stürzte er sich geradezu auf die Wartenden. Keine Hand konnte ihm entkommen. Er marschierte zur Bühne, indem er beidhändig Hände schüttelte. Er schaffte ungefähr fünf Hände pro Sekunde, dazu großes Dauerlächeln und auch mal Stehenbleiben für ein Autogramm, ein Handyfoto. Angela Merkel hat sich den Menschen, die sie wählen sollten, scheu genähert, vorsichtig, bloß nicht viel Kontakt. Sie hat auf dem Weg zur Bühne vielleicht fünf, sechs Hände insgesamt geschüttelt. Volk kann sie nicht, immer noch nicht, obwohl sie als Kanzlerin etwas besser geworden ist.
Ihre Kanzlerschaft war bislang eine große Verweigerung, sich über Worte zu erkennen zu geben. Mich hat manchmal gewundert, dass sie das so macht. Denn es gibt sie auch anders. Es gibt Angela Merkel zweimal: vor der Öffentlichkeit und im kleinen Kreis. Im Juni 2008 gab eseinen EU-Gipfel in Brüssel. Es war eine schwierige Situation. Die Iren hatten gerade den Vertrag von Lissabon abgelehnt. Die Politiker suchten nach einem Weg aus der Krise, kamen aber nicht recht weiter. Nach den Gesprächen gab Merkel eine Pressekonferenz, sie redete tonlos, ohne Engagement, sie langweilte mit Floskeln, mit leeren Sätzen, es war fürchterlich. Einige Stunden später gab es in ihrem Hotel ein Hintergrundgespräch mit deutschen Journalisten. Dort saß ein anderer Mensch, eine andere Politikerin. Sie redete so klug und leidenschaftlich über Europa und die Aufgaben der Politiker, dass einige Journalisten nicht anders konnten, als ihr zu applaudieren. Das ist eigentlich strengstens verboten, das ist peinlich, man muss Distanz halten zu den Politikern, über die man berichtet. Aber sie hatte wirklich überzeugt.
Auch auf den Auslandsreisen ist sie oft sehr gut. Als sie im Sommer 2007 in China und Japan war, gab es fast jeden Abend einen Hintergrund für die Journalisten. Offen, kenntnisreich und schlagfertig erläuterte sie ihre Begegnungen vom Tage. Es stellt sich die Frage, warum sie diese Seite den Bürgern nicht zeigt, warum sie in der Öffentlichkeit oft so sperrig und unbeholfen redet, obwohl sie anders kann. Eine Erklärung ist, dass sie sich mit Journalisten meist in einem Schutzraum befindet. Aus einem
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