Angela Merkel
Hintergrundgespräch darf eigentlich nichts nach außen dringen, man muss vorsichtig sein beim Schreiben. Als ich einmal nicht vorsichtig war, wurden mir die Zugänge zur Bundeskanzlerin für eine längere Zeit gesperrt.
Nun haben Schutzräume durchaus etwas für sich. Gerade in der Politik, wo ein Satz die Welt verändern kann, sind sie eine Möglichkeit, Journalisten in die tieferen Gedanken der Bundeskanzlerin einzuweihen, damit sie eine bessere Grundlage für ihre Geschichten und Urteile haben. Allerdings gehe ich nicht in erster Linie zur Bundeskanzlerin, weil das für mich persönlich interessant ist. Ich gehe im Auftrag meiner Leser dorthin. Journalismus verfehlt seinen Sinn, wenn die Journalisten bedeutend mehr wissen, als sie ihren Lesern mitteilen können. Während Merkels Kanzlerschaft ging diese Schere weit auseinander. Merkel ist die Königin der Hintergründe, bleibt aber für die breite Öffentlichkeit blass.
Kontrolle ist ein wichtiges Wort ihrer Kanzlerschaft. Sie will das Bild, das sich die Öffentlichkeit von ihr machen kann, kontrollieren. Ihre Regierungssprecher wählen sehr genau aus, wer sie auf ihren Auslandsreisen begleiten darf. Interviews gibt sie vornehmlich den Medien, die sie zu ihrem Lager zählt. Das ist die Springer-Presse, das ist die Frankfurter Allgemeine Zeitung . Im Spiegel tritt sie nicht gerne auf, weil der nicht das richtige »Umfeld« bietet, also kaum wohlwollende Berichte über ihre Politik.
Kontrolle will sie auch über die Bilder haben. Man muss dazu wissen, dass es in der Politik nicht nur einen heftigen Kampf um zitierbare Worte gibt, zwischen Politikern und Journalisten, sondern auch einen heftigen Kampf um Bilder, zwischen Politikern und Fotografen. Gerade Merkel hat lange unter der Allgegenwart von Kamerasgelitten. Das liegt auch daran, dass in ihrer Zeit als Oppositionsführerin Fotos gezeigt wurden, die sie in besonders unglücklichen Posen oder mit besonders unglücklichen Gesichtern zeigten.
Als Merkel im Wahlkampf 2005 die deutschen Soldaten im Kosovo besuchte, sollte sie mit zwei Soldaten auf deren Schlafstube sprechen. Sie kam in einen Raum mit schmalen Betten und Spinden und der schwülen Atmosphäre abgestandener Männlichkeit. Unter den Fotografen und Kameraleuten brach eine kleine Hysterie aus. Endlich gab es eine Gelegenheit, an richtig heiße Ware zu kommen. Es sollte etwas entstehen, was es eigentlich nicht gibt: eine intime Situation unter allgemeiner Beobachtung. Die Schlafstube füllte sich mit Menschen und Kameras, wüstes Geschiebe, schwitzende Männerkörper, ein Luftgefecht der Mikrofongalgen, die Stimmung überbordender Bildergier. Angela Merkel war eingeklemmt zwischen Männern, rechts und links die beiden Soldaten, ihr gegenüber die drängelnden Leute mit den Kameras. Am Rücken konnte sie schon die Spinde spüren. Und jetzt nett plaudern, jetzt so tun, als wäre sie hier allein mit zwei Soldaten und interessierte sich sehr für deren Belange. Und locker bleiben, gut aussehen.
Sie hat das nicht geschafft, sie ist unter diesem Druck mehr oder weniger zusammengebrochen. Das Gespräch ist ihr entgleist. Sie hat die Soldaten gefragt, ob es hier »Mäuschen« gebe und Kröten, und redete ewig über Ungeziefer. Es war, als wüsste sie überhaupt nicht, wo sie ist.
Später stand sie auf einem Hügel und betrachtete dieStadt Prizren. Dunkle Wolken rollten über die Berge, ein Hubschrauber kratzte am Himmel, rote Dächer, spitze Türme. Plötzlich war Merkel Marionette. Die Fäden zogen die Fotografen und Kameraleute, die sie näher an die Brüstung dirigierten und ihr Gesten vorschrieben. Sie kamen ihr nahe, immer näher, und als Merkels Pressesprecher etwas Abstand einforderte, damit sie nicht über die Brüstung kippte, wurde der Ton der Fotografen unverfroren, rüde. Sie traten auf wie Leute, die ein Recht auf Bilder haben, Bilder, die so sind, wie sie es wünschen. Merkel wehrte sich kurz, ergab sich dann dem Marionettendasein und klopfte auf Fotografenbefehl einem Soldaten an den Brustpanzer, nahm dann wunschgemäß eine Granate in die Hand und suchte verzweifelt nach einem Gesicht für die Granate. Und es wurden wieder diese seltsamen Merkelgesichter, in denen auch die Frage steht, ob das alles eigentlich sein muss.
Als Kanzlerin hat sie sich damit abgefunden, dass es so ist. Es geht jetzt nur noch darum, wer die Oberhand über die Bilder hat. Nun sagt sie den Fotografen genau, wo sie zu stehen haben und wo nicht. Steht einer hinter
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