Angela Merkel
redet, baut sie mit ihren Händen Kästchen, deren Größe variiert. Oder sie streckt einen Arm zur Seite, aber nicht in einer Bewegung, sondern in Stufen. Es sind nicht die Gesten für große Würfe. Sie teilt die Welt ein, macht sie übersichtlich, beherrschbar. Es sind Gesten für das, was Popper piecemeal social engineering genannt hat, eine Politik der kleinen Schritte, ein soziales Ingenieurwesen. Es sind Gesten einer Wissenschaftlerin: sich ein überschaubares Problem herausnehmen und daran arbeiten.
Merkels Privatleben spielt für ihre Kanzlerschaft keine Rolle. Ihr Mann Joachim Sauer ist selten bei den Terminen dabei. Er gibt keine Interviews, mischt sich erkennbar nicht ein. Anders als bei Schröders ist nicht bekannt, was für eine Art von Ehe die beiden führen. Merkel spricht nicht darüber. Das hat etwas Gutes, etwas Angenehmes. Während ihrer ersten Amtszeit hat Wulff das Glück mit seiner neuen Liebe für die Öffentlichkeit zelebriert, Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit hat aufschreiben lassen, dass er, man denke, als Jugendlicher mit Mädchen geknutscht hat. Und die ehemalige Fürther Landrätin Gabriele Pauli hat sich mit Latexhandschuhen ablichten lassen. Der Vizepräsident des Deutschen Bundestags, Wolfgang Thierse von der SPD, hat eine solche Offenherzigkeit einmal den »Terror der Intimität« genannt, und ihm ist zuzustimmen. Merkel macht dieses Spiel nicht mit, und deshalb ist sie kein bisschen peinlich.Sie erzählt mal, dass sie immer noch Kartoffelsuppe kocht und Pflaumenkuchen backt, dass sie gern beim Chinesen essen geht und ungern Schuhe einkauft, weil die Verkäuferinnen immer so ein Riesenbohei machen um die Bundeskanzlerin. Aber das ist nicht wirklich ein Einblick in ihr Privatleben.
Wie gesagt, es ist gut, dass sie die Öffentlichkeit damit nicht behelligt oder unterhält, je nach Standpunkt. Aber diese Verschlossenheit trägt dazu bei, dass es so schwer ist, zu erkennen, welcher Mensch dieses Land regiert. Es legt auch den Verdacht nahe, dass das Private keine besonders große Rolle spielt in ihrem Leben. Zeit dafür bleibt ohnehin kaum, aber Merkel macht insgesamt den Eindruck, dass sie sehr gerne ganz und gar Bundeskanzlerin ist.
Das Bild von dieser Kanzlerin ist also ein rein politisches. Aber was zeigt dieses Bild von der echten Angela Merkel? Gibt es die noch, oder ist sie längst in der großen Kanzlerinnen-Inszenierung verschwunden? Man muss hier unterscheiden zwischen einem öffentlichen Bild und einem nicht-öffentlichen Bild, das man sich als Journalist zum Teil machen kann. Die Differenz ist erheblich.
Das öffentliche Bild ist zum einen geprägt von ihren Auftritten im Ausland. Damit ist sie beliebt geworden, dem selbstverständlichen Umgang mit den Politikgrößen dieser Welt. Allerdings ist es auch leicht, sich mit Außenpolitik Beliebtheit im Inneren zu verschaffen. Dann ist es wie bei Länderspielen, wenn die Fans von BorussiaDortmund, Bayern München oder Werder Bremen für dieselbe Mannschaft sind und den Spielern aus den anderen Vereinen zujubeln. Man solidarisiert sich mit der Bundeskanzlerin, man will ihren Erfolg, damit Deutschland gut dasteht. So war es strategisch geschickt, sich anfangs auf die Außenpolitik zu verlegen. Damit war der Grundstein für ihre Beliebtheit gelegt.
Doch bald wurden Vorwürfe der SPD laut, Merkel vernachlässige über ihrer Tummelei im Ausland die Innenpolitik. Das war ein billiger Punkt. Gleichwohl ist da etwas dran. Merkel hat die Bürger ihres Landes vernachlässigt. Das scheint im Widerspruch zu stehen zu den guten Umfragewerten, die sie hat. Entweder nehmen ihr die Bürger die Vernachlässigung nicht übel. Oder die Umfragewerte geben einen falschen Eindruck wieder. Vermutlich verhält es sich so. Merkel ist die Kanzlerin einer Großen Koalition, sie wird daher von Bürgern, die zur Union und zur SPD neigen, eher milde betrachtet. Das trägt zu ihren guten Umfragewerten bei.
Merkel hat nicht eine Rede gehalten, die in Erinnerung geblieben ist. Auch Kohl und Schröder nicht, aber das ist keine Entschuldigung. Dieses Land ist seit Jahrzehnten unterversorgt mit guten Reden, das heißt unterversorgt mit Ansprache, mit Mitnahme. Schröder hat es versäumt, den Bürgern seine Agenda 2010 zu erklären. Merkel hätte eine große Rede halten müssen, als der Finanzmarkt weltweit zusammenbrach. Sie hat sie nicht gehalten, weder im Bundestag noch sonst wo. Die Grundfesten der Welt waren erschüttert, alles
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