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Angela Merkel

Titel: Angela Merkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Kurbjuweit
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internationalen Wettbewerb belasten. Ein anderes Ziel war, mehr Bewegung in den Arbeitsmarkt zu bringen. Die Hürden für Beschäftigung sollten sinken, die Arbeitslosen ermuntert werden, rasch einen neuen Job zu suchen. Eine umfassende Reform der Sozialsysteme war dies aber nicht. Renten- und Pflegeversicherung blieben weitgehend unangetastet, im Bereich Gesundheit beschied man sich mit Stückwerk. Doch diese Agenda, eine halbe Sache nur, hat Deutschland grundlegend verändert, und viel von dem, was in der deutschen Politik seither passiert ist, hat mit der Agenda 2010 zu tun.
    Kaum ein politisches Jahr in der Bundesrepublik erlebte so viel Hysterie wie 2003. Große Teile der SPD waren entsetzt von Schröders Vorstoß. Der Weg zu den Gesetzen wurde zur parteiinternen Schlacht. Es gab nur wenige Genossen, die das Reformprogramm überzeugt mittrugen. Es gab offene Rebellion, und es gab ein großes Murren fast überall. Begleitet wurde die Schlacht von einem neoliberalen Triumphalismus. Die Nebenregierung unter Hans-Olaf Henkel brüllte ins Land, es sei nun Zeit für einen neuen Menschen: stark, selbständig, aktiv, rastlos, ein Athlet des Alltags. Es könne diesen Menschen geben,wenn der Staat seinen Bürgern die Fesseln nehme. Der Staat galt Henkel und seinen Jüngern als böse, als fett, träge und dumm. Er belaste seine Bürger mit tausend Regeln und lähme so ihren Antriebsgeist. Befreit den Menschen vom Staat, dann geht es aufwärts, das war die Devise. Deregulierung hieß das Zauberwort. Diese Nebenregierung war keine Hilfe für Schröders Reformpolitik, ihre aggressiven Debattenbeiträge vergifteten das Klima im Land. Sie sorgten dafür, dass im Wort Reform immer das Wort neoliberal mitschwang, und da kaum einer genau wusste, was neoliberal ist, versah man es mit dem Synonym böse. Für einen größeren Teil der Bevölkerung waren Reformen böse, egal ob sie den Sozialstaat abbauten oder umbauten oder sonst wie wirkten. Die Leute gingen auf die Straße, sie demonstrierten gegen Schröders Reformen, die so böse nicht waren, aber das spielte keine Rolle mehr. Die Straße demonstrierte in Wahrheit gegen die Talkshow, gegen die Angst vor einer neoliberalen Revolution. Die Debatte hatte sich von der Politik entkoppelt, wirkte aber auf die Politik zurück.
    Angela Merkel sah sich das eine Weile an, dann fasste sie einen Entschluss. Sie war bis dahin ohne Kontur geblieben. Sie hatte sich bedeckt gehalten, in der Schwebe, sich nicht festgelegt, nicht groß gezeigt – das Muster ihrer DDR-Existenz. Aber dazu gehört auch das Warten auf den großen Moment. Wer sich so lange zurückhalten muss, in dem wächst der Traum von einer triumphalen Selbstoffenbarung. Der Verborgene ersehnt das Licht, ersehnt seine große Stunde. Merkel hatte im November1989 nichtlange gewartet, sondern ist bald in die Politik gegangen, erst zum Demokratischen Aufbruch, einer Neugründung der DDR, dann zur CDU. Sie wurde stellvertretende Sprecherin der Regierung von Lothar de Maiziere, wurde Ministerin unter Helmut Kohl und so weiter. Eine Karriere aus dem Nichts, aus der Stille heraus. Sie hängte alle Regimekritiker, alle Revolutionäre ab, alle, die sich vorher gezeigt, verkämpft hatten.
    Auch den Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung , der den Bruch mit Kohl markierte und ihr den Parteivorsitz eintrug, hatte sie aus der Unauffälligkeit heraus geschrieben. Als Parteivorsitzende blieb sie bis zum Herbst 2003 blass. Dann machte sie den nächsten Überfall. Am 1. Oktober hielt sie eine Rede im Deutschen Historischen Museum in Berlin, und diese Rede war ihre Geburt als Reformerin. Sie hatte gerade den Bericht einer Parteikommission unter Vorsitz des ehemaligen Bundespräsidenten Roman Herzog bekommen. Deren Vorschläge machte sie sich zum allergrößten Teil zu eigen.
    Ihre Rede stand unter der Überschrift »Quo vadis Deutschland?«. Zentraler Begriff war, man glaubt es heute kaum: »Freiheit«. Sie sagte: »Damit Solidarität und Gerechtigkeit wieder gelebt werden können, muss die Freiheit in unserer Wertehierarchie wieder deutlich von unten nach oben kommen. Denn ohne Freiheit ist alles nichts.«
    Sie schlug vor, das Gesundheitssystem komplett umzugestalten, keine solidarische Versicherung mehr, sondern eine sogenannte Gesundheits-Prämie, jeder zahlt für sich selbst.
    Sie schlug vor, die Pflegeversicherung auf ein individuelles Kapitaldeckungsverfahren umzustellen.
    Für den Arbeitsmarkt forderte sie »betriebliche Bündnisse

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