Angela Merkel
ihr, wird sie wütend. Sie lässt jetzt für die richtigen Bilder von sich sorgen. Als sie noch Klimakanzlerin war, ist sie nach Grönland geflogen, hat eine rote Jacke angezogen und sich vor das schmelzende Eis gestellt. Die Nothelferin, die Retterin der Welt.
Im Sommer 2006 hat sie die Marine in Warnemünde besucht. Mit der Fregatte »Sachsen« fuhr sie hinaus auf die Ostsee, dort gab es die üblichen Fotos am Steuerknüppel.Das sind die beliebtesten Fotos überhaupt bei Politikern. Sie steuern ein dickes Schiff oder eine schnelle Bahn, und das soll nach Führungskraft aussehen. Sie hat das auch gemacht, und dann sollte sie noch zuschauen, wie vier Kampfjets vom Typ »Tornado« im Tiefflug über die Fregatte hinwegfegen. Sie wurde gewarnt. Die Flieger seien sehr laut, man reichte ihr Ohrenschützer. Merkel nahm sie nicht. Sie wurde noch mal gewarnt. Nein, keine Ohrenschützer. Der erste Tornado kam. Ich habe mir die Ohren zugehalten, und trotzdem habe ich nie so etwas Lautes gehört wie dieses Flugzeug. Terror für die Ohren, ein heftiger Schmerz. Merkel hat das viermal ausgehalten, ohne sich die Ohren zuzuhalten. Sie war durchdrungen von einem fanatischen Gestaltungswillen, von der Gestaltung der Bilder von sich. Es gab dann diese Fotos, in denen sie so seltsam lächelt, kindhafte Freude paart sich mit Horror. Es waren keine schönen Fotos, aber Merkel wollte auf keinen Fall die anderen, die mit Ohrenschützern. Bei jeder halbwegs passenden Gelegenheit wären sie gedruckt worden, mit der Bildzeile: Die Kanzlerin hört nicht hin, hört nicht zu, will nichts wissen von der Welt.
Da zeigt sich auch das Zweifelhafte eines Journalismus, der alles zum Symbol erhebt, der Politik bis ins Letzte ausdeutet. Wobei sich Merkel nicht über das Zweifelhafte daran aufregt. Es geht ihr nur darum, die Symbole in die Welt zu setzen, die ihr nützen können, zum Beispiel das Foto in der nothelferroten Jacke vor dem weißen Eis, zum Beispiel die Hand auf dem Steuerknüppel des Schiffes.
Es gibt diese Inszenierung aber nicht nur von einer Seite, von den Regierenden. Auch die anderen, die Regierten, zeigen gerne ein geschöntes Bild. Ich stehe oft bei denen, die auf einen Besuch der Bundeskanzlerin warten. Ich höre, wie die schönen Sätze ein letztes Mal geprobt werden, ich sehe, wie die Sonntagsgesichter geübt werden. Noch einmal den Boden wischen, noch einmal das Beet harken. Einmal war ich dabei, wie Jürgen Großmann, damals geschäftsführender Gesellschafter der Georgsmarienhütte bei Osnabrück, auf die Kanzlerkandidatin gewartet hat. Er stand auf dem roten Teppich, befeuchtete einen Zeigefinger mit Spucke und rieb sich damit die Augenbrauen glatt. Schönsein für Merkel. Ich war auch mal dabei, wie Lehrlinge mit Behinderungen der Kanzlerin hinter verschlossenen Türen von ihren Erfahrungen und Problemen berichten sollten. Probleme kamen nicht vor, selbst auf Nachfragen von Merkel nicht. Sie wollten der Bundeskanzlerin ein schönes Bild präsentieren, nicht das reale.
Politik generell ist eine große Inszenierung, von allen Seiten. Man formt Bilder, man schönt, man hysterisiert. Die Realität geht dabei verloren.
Neu bei Merkel ist die Totalinszenierung. Schröder war auch ein großer Inszenierer, vor allem was Bilder angeht. Aber er konnte auch danebenliegen, weil er sich selbst so ausgeliefert war. Er spielte mit den Medien und verzockte sich manchmal. Zum Beispiel indem er sich mit einem Anzug von Brioni fotografieren ließ. Zum Beispiel indemer fröhlich bei Thomas Gottschalk auftrat, als habe er nichts anderes zu tun. Zum Beispiel indem er sich nachts unter Rotweineinfluss von Journalisten in einen Plan für Blauhelmeinsätze im Irak hineinplaudern ließ. Daraus wurde eine Titelgeschichte, die für enormen Wirbel gesorgt hat und sofort dementiert werden musste, weil es diesen Plan in der realen Welt nicht gab, aber Schröder war’s egal. Er hat das keinem übelgenommen. Hauptsache Schlagzeilen, Hauptsache Leben in der Bude. Alles, was andere als Fehler wahrnahmen, konnte er als Husarenstück belachen.
Und Merkel? Gibt es hinter ihren Fassaden so etwas wie eine wahre Merkel? Ich muss zugeben, dass ich das nicht weiß, obwohl ich sie oft beobachte und manchmal mit ihr rede. Mich hat anfangs überrascht, wie schnoddrig sie sein kann, wenn sie keine Kamera auf sich gerichtet weiß. Man sieht von Kanzlern ja meist die staatshaften Gesten und hört die abgezirkelten Worte. Außerhalb ihres offiziellen Auftretens
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