Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Angela Merkel

Titel: Angela Merkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Kurbjuweit
Vom Netzwerk:
für Arbeit, Leiharbeit, Teilzeitarbeit, befristete Arbeitsverhältnisse, flexibler Kündigungsschutz, mehr und länger arbeiten«.
    Zum Staat sagte sie: Er »muss sich zurücknehmen, zugunsten von mehr Freiraum und mehr Eigenverantwortung der Menschen. Denn wirklich stark bleiben kann der Staat nur, wenn er nicht allein auf Zwang und Kontrolle setzt.«
    Nach dieser Rede galt sie als Radikalreformerin. Die einen unterstellten ihr »soziale Kälte«, die anderen feierten sie dafür. Ich sah sie wenige Tage danach bei einer Rede vor dem Wirtschaftsrat ihrer Partei in Hamburg. Sie war munter, gelöst, gelassen. Sie war eine neue Angela Merkel, eine Angekommene. Sie erntete dicken Applaus, und ihr Gastgeber sagte: »Wir stimmen Ihnen hundertprozentig zu.«
    Im Dezember 2003 drückte sie dieses Programm auf dem Parteitag der CDU in Leipzig durch. Sie hatte sich nun eine Kontur gegeben, sie wollte Radikalreformerin werden. Damals kam der Vorwurf der sozialen Kälte auf. Es wurden aber auch Zweifel laut, ob sie das wirklich so meine, wirklich so sehe oder nur dem Zeitgeist folge. Ich habe das Angela Merkel immer mal wieder gefragt: Kommt dieses Programm aus tiefster Überzeugung? Es ist eigentlich eine naive Frage. Man muss bei solchen Fragen keine großen Hoffnungen auf eine ehrliche Antworthaben, bei keinem Politiker. Niemand offenbart das, was wirklich in ihm vorgeht, in Reinform. Es ist immer ein Schuss Nutzenkalkül dabei, mal mehr, mal weniger: Womit stehe ich gut da? Angela Merkel hat naturgemäß stets versichert, dass dieses Programm aus tiefster Überzeugung komme. Sie hat mir auf meine Frage erzählt, wie sie die Bundesrepublik in ihren Jahren als Bürgerin der DDR wahrgenommen habe. Ihr Land kam ihr als Hort von Umstandskrämern und Antriebslosen vor, das Land jenseits der Mauer wirkte auf sie wie die Heimat von Tempo und Effizienz. Dann fiel die Mauer, und Angela Merkel, die durchstarten wollte, hatte bald den Eindruck, Umstandskrämerei und Antriebslosigkeit prägten auch das andere Deutschland, nur auf einem anderen Niveau. So wurde ihre Annäherung an die Bundesrepublik eine Geschichte von Enttäuschungen. Die bezog sich aber nicht nur auf die Arbeitnehmer, sondern auch auf Unternehmer und Staat. Bei ihren Auslandsreisen lernte sie zudem Systeme und Menschen kennen, die ihr tüchtiger vorkamen als die Deutschen, vor allem in Asien und Amerika. So wurde »Ertüchtigung« zu einem ihrer meistgebrauchten Worte. Das andere heißt »Angaschmang« und bedeutet Engagement.
    Merkel dachte damals nicht so sehr in den deutschen Sozialsystemen, sondern schaute eher von außen darauf, aus einer eher neutralen Position. So kommt man leichter zu einem radikalen Ansatz. Außerdem ist sie auch Kind eines Geschichtsbruchs, und ein Geschichtsbruch gibt einem die Gelegenheit, sich neu zu erfinden. Die altenAutoritäten und Gewissheiten erscheinen in einem neuen Licht, alles ist in Frage gestellt, man hat die Chance zu tausend Abschieden und Ankünften. Die Stunde null ist zudem eine Zeit größtmöglicher Gleichheit. Alle werden in eine neue Welt gestürzt und können ihren Weg machen oder auch nicht. Angela Merkel spürte die Euphorie der Möglichkeiten, nahm Abschied und stieg auf. Solche Glücksritter der Stunden null neigen dazu, dem Individuum eine Menge zuzutrauen: Man kann es weit bringen, wenn man nur will. Ich habe es ja auch gekonnt.
    Ich halte es aus diesen Gründen für wahrscheinlich, dass die Radikalreformerin Angela Merkel nicht nur ein PR-Gag war, sondern Angela Merkel selbst, authentisch, wenn auch beflügelt von einem gewissen Zeitgeist. Sie nahm sich damals den Umbau des Sozialstaats vor, in der Hoffnung, Deutschland für den globalen Wettbewerb zu stärken.
    Die Partei war Merkel in Leipzig zwar gefolgt, aber nicht aus ganzem Herzen. Es gab viel Widerstand, vor allem in der CSU, die in harten Kämpfen eine Verwässerung der Gesundheitsprämie durchsetzte. Merkels Macht schwand. Sie wollte die Parteibasis gewinnen, indem sie die Gesundheitsprämie auf speziellen Versammlungen erklären ließ. Es wurde aufwendig vorgerechnet, wer wie viel zahlen müsse, ein Tumult der Zahlen, undurchschaubar, bizarr. Das Publikum zeigte sich skeptisch und dem alten Sozialsystem eng verbunden. Der neoliberale Zeitgeist war eine Sache von Talkshows, Zeitungsspalten und Büchern gewesen. Das Volk machte nicht mit.
    Das Volk wählte im Frühjahr 2005 die rot-grüne Regierung von Nordrhein-Westfalen aus dem Amt. Das lag vor allem

Weitere Kostenlose Bücher