Angela Merkel
an der Agenda 2010, Ministerpräsident Peer Steinbrück zählte zum Reformflügel der SPD, galt als enger Verbündeter des Bundeskanzlers. Das Wahlergebnis war ein Schock, nach 25 Jahren verlor die SPD die Macht in einem Bundesland, das als Heimat der Sozialdemokratie galt, für immer rot. Ministerpräsident wurde Jürgen Rüttgers von der CDU, ein Mann mit sozialem Anstrich. Gerhard Schröder gab daraufhin bekannt, dass er Neuwahlen anstrebe. Der Wahlschock mischte sich bei ihm mit Überdruss. Seit März 2003 wurde er unablässig von der eigenen Partei angefeindet, zuletzt besonders stark von Landespolitikern wie Andrea Ypsilanti in Hessen.
Favoritin dieser Neuwahlen war Angela Merkel, in den Umfragen lag die Union meist über 40 Prozent. Den Wahlkampf bestritt sie mit einem nicht mehr ganz so radikalen Programm, blieb aber Reformerin. Sie kündigte an, dass sie die Mehrwertsteuer um zwei Prozentpunkte anheben wolle, falls sie gewählt würde. Im Gegenzug würde der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung gesenkt. Es waren freudlose Veranstaltungen, Merkels Sätze zogen vorüber wie Lastkähne, keine Eleganz, sondern Trägheit, blasse Schwere. Die Zuschauer wurden von Zahlen überschüttet, sie wurden ökonomisch belehrt, für 40 Minuten waren sie Schüler an Merkels freudlosem Abendgymnasium. Etwas knülle von so viel Inhaltlichkeit machten sie sich auf den Heimweg.
Am 18. September gaben 35,2 Prozent der Wähler AngelaMerkel ihre Stimme, ein Schock, ein Desaster. Die Agenda 2010 hatte Gerhard Schröder das Amt gekostet, Peer Steinbrück das Amt gekostet. Merkel wurde Kanzlerin, aber sie wurde anders Kanzlerin, als sie gedacht hatte. Sie gelangte nur knapp in dieses Amt, und sie wurde die Kanzlerin einer Großen Koalition aus Union und SPD. Das heißt, sie konnte wieder einmal keine Sicherheit finden. Ihre Kanzlerschaft würde vom ersten Tag an umstritten sein. Sie hatte die starken Ministerpräsidenten der Union im Nacken und die SPD, die alles tun würde, um Merkel das Kanzleramt wieder streitig zu machen. Die Frau, die nirgendwo heimisch werden konnte oder durfte, in der DDR nicht, in der Bundesrepublik nicht, in der Union nicht, sollte auch im Kanzleramt keine Heimat finden dürfen. Kaum Kanzlerin geworden, musste sie ihr Amt schon wieder verteidigen, als Erstes gegen die Ministerpräsidenten, die ihr schwaches Wahlergebnis nutzten, um sich selbst zu profilieren, Jürgen Rüttgers als Vertreter des sozialen Flügels, Roland Koch und Günther Oettinger als Vertreter des Wirtschaftsflügels, Edmund Stoiber als Vertreter eines eigenständigen Bayern. Im Spätsommer 2006, nach knapp einem Jahr Kanzlerschaft Merkel, wurde im Regierungsviertel schon darüber spekuliert, wann sie stürzen würde. Aber sie stürzte nicht. Auf dem Parteitag im Herbst 2006 in Dresden wurden ihre Gegner mit schlechten Wahlergebnissen abgestraft, Merkel dagegen kam gut davon. Sie setzte sich für Anträge ein, die sowohl den Wirtschafts- als auch den Sozialflügel beruhigten. Damit war der parteiinterne Machtkampf beendet, Merkelgewann ein Stück Sicherheit. Aber da war noch die S PD, und da war ein Volk, das anders war, als Angela Merkel gehofft hatte.
Das deutsche Gemüt hat sich durch die Agenda 2010 verändert. Es hat sich so sehr verändert, dass die Erfolge dieser Reformen nicht für eine gute Stimmung sorgen konnten. In den ersten Jahren von Merkels Kanzlerschaft wuchs die Wirtschaft kräftig, die Zahl der Arbeitslosen sank auf drei Millionen. Dazu trug der Boom in China bei und ein allgemeiner Aufschwung in der Weltwirtschaft. Aber auch die Agenda wirkte. Der Arbeitsmarkt war jetzt flexibler, Wachstum setzte sich schneller in Beschäftigung um. Die Leiharbeit erlebte einen Boom. Es gab Gründe, optimistisch zu sein, gute Laune zu haben.
Aber es kam nicht so. Das Gegenteil war der Fall. Deutschland versank trotz der schönen Zahlen in Depression. Das wurde so richtig deutlich im Sommer 2007, als einige Umfragen erschienen, die zeigten, dass viele Deutsche mit großen Sorgen in die Zukunft blickten, dass sie große Zweifel hatten, dass es gerecht zugehe in ihrem Land. Umfragen haben immer etwas Zweifelhaftes, aber sie bestimmen die Schlagzeilen und Berichte in den Medien und damit den Eindruck von einer Stimmung, was wiederum die Stimmung selbst beeinflusst. Das heißt, das Zweifelhafte wird zu einer eigenen Realität und damit wirksam für die Politik.
Ein Grund für die damalige Stimmung dürfte eine veränderte Psychologie
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