Angela Merkel
einem kleinen Team von Frauen, angeführt von ihrer Büroleiterin Beate Baumann. Sie hat es bis heute nicht geschafft, sich tief in dieser Partei zu verwurzeln. Man hat ihr das verwehrt, aber sie hat sich auch nicht besonders angestrengt. Zugespitzt formuliert, hat sie sich die CDU als Instrument gekapert, um ihre Vorstellungen von Politik durchzusetzen. Sie hatsich nicht groß darum geschert, was die Partei eigentlich will. Es zählt, was Merkel will. Sie führt, die anderen müssen folgen. Und weil die CDU ist, wie sie ist, folgt sie auch. Mehr als ein Murren war nicht zu hören, ein Murren der Konservativen gegen die Familienpolitik von Ursula von der Leyen, die Müttern die Berufstätigkeit leichter gemacht hat, ein Murren des Wirtschaftsflügels gegen Merkels Sozialdemokratismus. Die CDU spielt in Merkels Kanzlerschaft keine Rolle.
Wer so viel Abstand hält zu seiner eigenen Partei wie Merkel, der hat auch keine großen Loyalitäten. Wäre Merkel tief verwurzelt in dieser Partei, müsste sie die anderen mitnehmen. Sie müsste ihnen erklären, warum sie eine Abkehr von den einstigen Vorstellungen für richtig hält. Sie müsste sie überzeugen. Ein Mensch, der andere bei seinen Wandlungen mitnehmen will und muss, wandelt sich nicht so schnell, nicht so radikal. Denn eine solche Wandlung ist eine Zumutung für die anderen, sie müssen die Programme, die sie einst vertreten haben, über Bord werfen, obwohl sie die vielleicht mochten, sie müssen etwas von sich selbst abschaffen, aber nicht aus eigenem Antrieb. Das hat Merkel ihrer Partei leichthändig zugemutet, ohne große Erklärungen, ohne die Bitte um Gefolgschaft. Sie macht das einfach. So führt Einsamkeit in der Politik zu einer großen Mobilität und Flexibilität, aber eben auch zu einer Haltlosigkeit.
Wie sieht Merkel das? Was sagt sie zu ihrer Selbstabschaffung als Reformerin? Ich habe mit ihr darüber im Frühjahr2008 anderthalb Stunden auf einem Flug von Straßburg nach Berlin geredet.
Sie ist ziemlich sauer, als sie morgens um neun Uhr in Tegel in die Challenger steigt. Sie setzt sich nach vorne zu ihrem europolitischen Berater Uwe Corsepius und zu Regierungssprecher Ulrich Wilhelm und lässt erst einmal Luft ab. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung hat an diesem Morgen geschrieben, dass Merkel von ihrem Ziel, die Lohnnebenkosten dauerhaft unter 40 Prozent zu drücken, abgerückt sei. Quatsch. Ist sie nicht. Und dann dieser Josef Schlarmann, Vorsitzender der Mittelstandsvereinigung der Union. Er hat kürzlich im Spiegel mit Merkel abgerechnet, das kann sie immer noch aufregen. Ist da denn niemand, der dem mal Bescheid gibt?
Auf dem Rückflug ist sie ruhig, sie hat die Schnoddrigkeit, die sie manchmal unter Vertrauten zeigt, abgelegt. Sie sagt, dass sie Schlarmanns Kritik in manchen Punkten verstehen könne. Sie habe ja schon eingeräumt, dass der Eingriff in die Rentenformel »ordnungspolitisch kein Meisterstück« gewesen sei. Sie sagt das dreimal in diesem Gespräch: ordnungspolitisch kein Meisterstück. Sie räsoniert länger über Kritik und Selbstkritik und wirkt empfindlich dabei, angefasst. Sie liest viel in den Zeitungen und Zeitschriften, und die manchmal harschen Worte über ihre Wirtschafts- und Sozialpolitik treffen sie auf eine seltsame Art, nämlich aus zwei widersprüchlichen Gründen: weil ihr Unrecht getan wurde und weil ihr recht geschieht.
Unrecht: Naturgemäß hält sie sich nicht für eine schlechte Kanzlerin.
Recht: Sie weiß, dass sie nicht die Kanzlerin geworden ist, die sie werden wollte. Das nagt.
Inzwischen hat sie den Aufsatz von Herfried Münkler gelesen, Maximum und Optimum. Na bitte, Merkel kann ihre Freude nicht verhehlen, dass da jemand ihre Politik intellektuell begründet. Ein Wissenschaftler! Sie sagt das mit Ausrufezeichen, als wäre damit die Gültigkeit von Münklers Sätzen bewiesen. Wissenschaftlerin ist sie ja selbst.
Ein Schlarmann denke eben extrem unpolitisch, sagt sie. Aber verstehen kann sie ihn, ja doch. So ist sie hin- und hergerissen zwischen Zerknirschung und Rauflust. Die Kritik von Altbundespräsident Roman Herzog an ihrer Rentenpolitik? Ach, dessen Generation habe die Probleme doch nicht rechtzeitig angepackt. Dann wieder: Die Kritik bewege sie schon.
Aber hat denn ihre Entscheidung zur Rente überhaupt etwas zu tun mit der schwierigen Suche nach dem Optimum in einer Koalition? Es gab doch gar keinen Druck von der S PD. Ohne Not, ohne Druck hat sie eine von Schröders Reformen außer
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