Angela Merkel
Fragen zu beschäftigen, doch mal zutrauen solle, hin und wieder eine vernünftige Entscheidung zu fällen. Es war eine große Rede für die repräsentative Demokratie. Es war die beste Rede, die ich von ihr in vielen Jahren gehört hatte. Man darf sie hier nicht zitieren, wegen dieser idiotischen Regeln.
Ich dachte auch: Ja, sehr gut, aber warum haben gerade Sie Verrat an der repräsentativen Demokratie begangen?
Die repräsentative Demokratie überlässt den Politikern die Regierung für vier Jahre, dann wird wieder das Wahlvolk befragt. Es hat sich gezeigt, dass dies im Großen und Ganzen gut funktioniert. Die Bundesrepublik wird vergleichsweisegut regiert, ist ein wohlhabendes und lebenswertes Land, in dem das meiste mit großer Selbstverständlichkeit vor sich hinschnurrt, obwohl seit 1989 die Mammutaufgabe deutsche Einheit geschultert werden muss. Müllberge wie in Italien sind hierzulande undenkbar. Es hat sich auch gezeigt, dass die Politiker oft richtig lagen, wenn sie Projekte, von denen sie überzeugt waren, gegen öffentliche Wirbelstürme durchsetzten.
Nur auf einem wichtigen Gebiet hat die deutsche Politik über viele Jahre nicht gut funktioniert. Das ist das Gebiet der Sozialreformen. In den späten neunziger Jahren, als die Globalisierung so langsam ins Laufen kam, hat es Helmut Kohl versäumt, den Sozialstaat den neuen Erfordernissen anzupassen. Er hatte Angst vor seinem Volk. Er hat noch selbst erlebt, was ein entfesseltes deutsches Volk anrichten kann. Er hat in dem Bewusstsein gelebt, dass der Sozialstaat dazu beiträgt, eine neuerliche Entfesselung zu verhindern. Deshalb ließ er lieber die Finger davon, es kam zum Reformstau. Deutschland war für die Globalisierung nicht besonders gut aufgestellt und fiel zurück.
Schröder hat zunächst so weitergemacht. Doch dann hat er dieses Feld für die Politik erobert. Das bleibt sein ewiges Verdienst. Angela Merkel, ausgerechnet Angela Merkel, hat dieses Feld wieder geräumt. Es ist an eine diffuse Volksmeinung zurückgefallen. Merkel hat sich zur Volkskanzlerin gemacht.
DIE KRISENMANAGERIN
Die große Krise ist die ideale Situation für Politiker. Sie ist einerseits eine Situation der Angst und der Sorgen, die Lebensgrundlagen sind bedroht. Deshalb wünscht sich niemand eine große Krise. Aber es ist dann plötzlich auf eine ganz andere Art Politik möglich, frei von den Hemmnissen und Kalamitäten, die Politik sonst so schwerfällig und mitunter hässlich machen. Dafür gibt es vier Gründe:
Ein großes Problem der Politik in normalen Zeiten ist die Frage, wie überhaupt die Lage ist. Schon darüber kann man sich kaum verständigen, weil die Lage durch parteiliche Brillen betrachtet wird. Gibt es echte Armut in Deutschland? Wie schlimm ist sie? Was heißt überhaupt Armut? Es fehlen eindeutige Daten über die Gesellschaft, und es fehlen eindeutige Begriffe. Deshalb ist das Feld frei für Interpretationen, also für Streit. In der großen Krise dagegen ist die Lage oft so eindeutig, dass darüber nicht mehr gestritten wird. Und auch wenn die Lage verworren ist, löst die große Krise mindestens ein einheitliches Bedrohungsgefühl aus. Angst vor Krieg, Angst vor einer wirtschaftlichen Depression, die fast allen die Wohlstandsposition rauben würde. Die Politik hat also kein Erkenntnisproblem,schon das ist eine gute Voraussetzung für Handlungsfähigkeit.
Die Schuldfrage spielt in der großen Krise zunächst in der Regel keine Rolle. Sie wird sonst besonders heftig diskutiert. Bevor zum Beispiel ein Armutsproblem angegangen wird, müssen alle mit dem Finger aufeinander zeigen und sagen: Du bist schuld, es waren die Versäumnisse von dir, von deiner Partei, die zu diesem Desaster geführt haben. Diese Schulddebatten vergiften das Klima so sehr, dass ein vernünftiges Gespräch über Lösungen kaum noch möglich ist. In der großen Krise bleibt keine Zeit für solche Debatten, man kann sich nicht mit Schuldfragen aufhalten, sondern muss sofort nach Lösungen suchen. Zudem werden große Krisen oft von außen in ein Land hineingetragen oder werden jedenfalls nicht von deutschen Politikern verursacht, so dass sich eine Schulddebatte erübrigt.
Die Medien nehmen sich in der großen Krise meistens zurück. Sie bleiben kritisch, müssen sie auch, aber sie sind nicht mehr hyperkritisch. Wenn sonst mitunter ein klammheimlicher Wunsch nach Misslingen herrscht, weil mehr los ist, wenn etwas misslingt in der Politik, wünschen Journalisten in der
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