Angela Merkel
verlorenen Weltkriegenschöpfte. Helmut Kohl hat die Deutsche Mark abgeschafft, obwohl sie das Lieblingskind der Deutschen war, Ausdruck wiedergewonnener Stärke nach dem verlorenen Krieg. Und Gerhard Schröder hat die Agenda 2010 durchgesetzt. All diese Maßnahmen waren im Nachhinein richtig. Die Ostpolitik hat die Verkrampfung in Europa ein Stück weit gelockert. Die Nachrüstung hat zum Ende der Sowjetunion beigetragen. Der Euro wurde zu einer starken, stabilen Weltwährung. Die Agenda 2010 hat die Arbeitslosigkeit gesenkt. Es gibt also Gründe, dem Volk in all seinen Stimmungen nicht uneingeschränkt zu trauen, sondern auch dem Verstand von Politikern. Sie müssen sich allerdings selbst trauen, sich und ihren Ideen.
Angela Merkel und die Große Koalition sind das Wagnis, gegen das Volk zu regieren, nicht eingegangen. Das heißt, in einer Frage schon. Der Einsatz deutscher Soldaten in Afghanistan wurde verlängert und ausgeweitet. Die meisten Umfragen sagen, dass die Mehrheit der Deutschen gegen diesen Einsatz ist. Die Politiker halten trotzdem daran fest. Auch das ist richtig, aber wie tun sie es? Angela Merkel will sich mit diesem Einsatz nicht eng verknüpfen. Sie wirbt nicht laut und offensiv für das deutsche Engagement in Afghanistan. Große Politik ist auch Werben für eine unpopuläre Sache. Merkel tut es zu wenig. Vor der SPD ist sie eingeknickt, weil ihr die SPD die laufende Kanzlerschaft hätte nehmen können. Vor dem Volk ist sie eingeknickt, weil ihr das Volk die nächste Kanzlerschaft nehmen könnte.
Es gibt in Deutschland ein Problem mit den ersten vierKanzlerjahren. Schröder hat es auch gehabt. Er hat nicht viel getan, vor allem hat er es versäumt, die Reformen vor der großen Wirtschaftskrise anzupacken. Er hat sich durchgemogelt, wollte niemandem wehtun. Doch kurz nachdem er zum zweiten Mal gewählt worden war, ging er die Probleme an. Ein Kanzler, der keine zweite Legislaturperiode erreicht, gilt als gescheitert. Ludwig Erhardt wurde zur Leitfigur der sozialen Marktwirtschaft, aber das hat er sich als Wirtschaftsminister verdient, als Kanzler blieb er blass. Kurt Georg Kiesinger, Kanzler der ersten Großen Koalition von 1966 bis 1969, ist so gut wie vergessen. Wenn ein Politiker seine erste Kanzlerschaft erringt, ist er eine Hoffnung. Wenn er seine zweite Kanzlerschaft erringt, ist das eine Bestätigung. Gut gemacht, weiter so, gerne auch eine Steigerung hier und dort. Da wollen alle hin, bestätigt sein. Ein Kanzler wird so richtig Kanzler erst in der zweiten Regierungszeit.
Das heißt leider auch: In der ersten Regierungszeit geht es ums Überleben, ums Durchkommen. Es geht darum, sich die Chancen für die nächste Wahl nicht zunichtezumachen. Deshalb ist auch Angela Merkel in den permanenten Wahlkampf eingestiegen, nicht mit Verbalattacken gegen die SPD, sondern mit dem Versuch, ebenfalls ein Bündnis mit dem Volk einzugehen, dem angeblich nach links gerutschten Volk. Also wurde sie oberste Sozialdemokratin.
Kanzlersein ist verflucht verführerisch für einen Politiker. Es verschafft einem Erfahrungen, die sonst kaum jemand macht, eine Handvoll Menschen weltweit. Mankann, zum Beispiel, mit dem Flugzeug einparken. In Helsinki zum Beispiel, beim Treffen der asiatischen und europäischen Staats- und Regierungschef, war der Flughafen voll mit Staatsfliegern, in denen sich die Größe des jeweiligen Landes spiegelte. Die Chinesen kamen mit einem Jumbo. Merkel kam mit einem Airbus und lag damit in der Größenordnung recht weit vorne. Der Airbus parkte ein, reihte sich in das Defilee der Nationen. Deutschland war da. Merkel war da. Darauf angesprochen, würde sie immer sagen, dass ihr das nichts bedeutet. Aber hier würde ich eine Unterstellung wagen: Es wirkt bei allen, unterschwellig auf jeden Fall. Auch deshalb können sie sich so schlecht verabschieden, Kohl, Schröder, selbst ein Ministerpräsident wie Stoiber.
Gerade Merkel hat die Wonnen einer Kanzlerschaft intensiv erlebt. Beliebt. Sie war plötzlich beliebt, die Frau, die so heftig bekämpft wurde, der man Unbeliebtsein immer unterstellen konnte, weil sie so komische Grimassen zieht, weil sie nicht für jede Kamera das richtige Gesicht findet, weil man ihr soziale Kälte unterstellen konnte, diese Frau war jetzt beliebt. Und Beliebtsein kann man lieben. Man kann sich so daran gewöhnen, dass man es nicht aufs Spiel setzen will. So war die erste Regierungszeit für Merkel auch Genuss, trotz aller Schwierigkeiten.
Das Problem ist,
Weitere Kostenlose Bücher