Angelfall: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
Familie umbringt.«
»Aber nicht mehr Sinn als eine Gang wild gewordener Kids, die zum Angriff übergeht.« Ich versuche, ihm einen Blick zuzuwerfen, der ihm zu verstehen gibt, dass ich ihn für verrückt halte, aber ich vermute, es gelingt mir gerade mal, verängstigt auszusehen. Mir brummt der Schädel vor lauter Bildern, die zeigen, was sich hier zugetragen haben könnte.
Dann sagt er irgendetwas von wegen die Straße meiden und bergauf durch den Wald weiterlaufen. Ich nicke, ohne die Details zu registrieren, und folge ihm in die Hügel.
13
In Kalifornien gibt es hauptsächlich Nadelbäume, trotzdem ist der Waldboden mit Laub bedeckt, und es raschelt bei jedem unserer Schritte. Ich weiß ja nicht, wie das in anderen Teilen der Welt ist, aber in unseren Hügeln ist diese ganze Story von erfahrenen Förstern, die sich lautlos durch den Wald bewegen, ein Mythos, davon bin ich überzeugt. Erstens mal gibt es hier im Herbst kein einziges Fleckchen, wo man die heruntergefallenen Blätter irgendwie umgehen könnte, und zweitens machen sogar Eichhörnchen und Hirsche, Vögel und Eidechsen so viel Lärm, dass man sie für sehr viel größere Tiere halten könnte.
Die gute Nachricht: Die Blätter sind noch nass vom Regen, was das Geraschel etwas dämpft. Die schlechte Nachricht: Ich kann den Rollstuhl auf dem nassen Hang nicht steuern.
Tote Blätter verfangen sich in den Speichen, während ich mich verzweifelt vorwärts kämpfe. Um das Gewicht des Rollstuhls zu reduzieren, schnalle ich das Schwert auf meinen Rucksack und trage ihn auf dem Rücken. Den anderen Rucksack werfe ich Raffe zu. Trotzdem schlingert der Rollstuhl, rutscht mir immer wieder weg und zieht mich bergab, während ich nach Kräften versuche, gegen zusteuern. Wir kommen nur im Schneckentempo vorwärts.
Raffe bietet mir keinerlei Hilfe an, aber wenigstens macht er auch keine sarkastischen Vorschläge.
Irgendwann biegen wir in einen Pfad ein, der ungefähr in die Richtung zu führen scheint, in die wir wollen. Das Gelände ist relativ eben, und es liegt sehr viel weniger Laub herum. Doch der Regen hat den kleinen Trampelpfad in ein einziges Schlammbad verwandelt. Ich habe keine Ahnung, ob der Rollstuhl in dem ganzen Matsch überhaupt fährt, und da ich Wert darauf lege, dass er später unter besseren Bedingungen nach wie vor funktioniert, klappe ich ihn kurzerhand zusammen und trage ihn. Auf eine unbequeme, mühsame Art und Weise funktioniert das für eine Weile sogar. Bislang habe ich den Rollstuhl maximal ein bis zwei Stockwerke runtergetragen.
Es zeigt sich ziemlich schnell, dass ich den Stuhl nicht ewig werde schleppen können. Selbst wenn mir Raffe seine Hilfe anbieten würde – was er nicht tut, aber selbst wenn –, dann würde er mit diesem seltsamen Vehikel aus Metall und Plastik nicht weit kommen.
Schließlich klappe ich den Stuhl wieder auseinander und setze ihn ab. Er versinkt im Boden, Schlamm saugt sich gierig an den Rädern fest. Noch ein paar Zentimeter, und der Stuhl steckt so tief im Matsch, dass die Räder blockieren.
Ich greife nach einem Stock und versuche, so viel wie möglich von dem Dreck abzuschaben. Ich muss die Prozedur ein paarmal wiederholen. Wenn man den Schlamm erst mal richtig aufgewühlt hat, fühlt er sich eher an wie Lehm. Schließlich braucht es nur noch ein paar Umdrehungen der Räder und der Stuhl steckt endgültig fest.
Hilflos stehe ich daneben, Tränen treten mir in die Augen. Wie soll ich Paige ohne ihren Rollstuhl retten?
Ich muss mir irgendetwas überlegen, und wenn ich sie eigenhändig trage. Das Wichtigste ist, dass wir sie finden. Trotzdem stehe ich für einen kurzen Moment einfach nur da, den Kopf im Angesicht der Niederlage gesenkt.
»Du hast doch immer noch ihre Schokolade«, sagt Raffe, und seine Stimme ist nicht unfreundlich. »Der Rest ist reine Logistik.«
Ich sehe ihn nicht an, denn meine Tränen sind noch nicht versiegt. Zum Abschied streiche ich noch einmal über den Ledersitz. Dann gehe ich weg. Weg von Paiges Rollstuhl.
Ungefähr eine Stunde lang laufen wir schweigend weiter, bis Raffe schließlich flüstert: »Hilft Trübsal blasen den Menschen eigentlich wirklich?« Seit wir die Opfer auf der Straße gesehen haben, haben wir uns nur im Flüsterton unterhalten.
»Ich blase nicht Trübsal«, wispere ich zurück.
»Nein, natürlich nicht. Warum sollte ein Mädchen wie du, das seine Zeit mit einem kriegerischen Halbgott wie mir verbringt, auch Trübsal blasen? Im Vergleich dazu kann
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