Angelfall: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
Erbarmen‹ zu mir. Und wie heißt du, kleiner Soldatenjunge?« Der Spott in seiner Stimme lässt mich völlig grundlos erröten.
Doch der Anführer wird nicht nervös. »Obadiah West. Du kannst mich Obi nennen.« Der Löffel entfernt sich ein kleines Stück von mir.
»Obadiah. Wie biblisch«, erwidert Raffe. »Obadiah hat die Propheten vor ihren Verfolgern versteckt.« Raffe starrt auf den Löffel mit dem Eintopf, der vor ihm in der Luft schwebt.
»Ein Bibelexperte«, sagt Obi. »Zu schade, dass wir schon einen haben.« Er sieht mich an. »Und wie heißt du?«
»Penryn«, sage ich schnell, bevor Raffe den Mund aufmachen und irgendetwas Sarkastisches sagen kann. »Penryn Young.« Ich möchte unsere Geiselnehmer lieber nicht gegen uns aufbringen. Vor allem nicht, wenn sie gerade dabei sind, uns zu füttern.
»Penryn.« Er flüstert meinen Namen, wie um ihn sich zu eigen zu machen. Irgendwie macht es mich verlegen, dass Raffe diesem Moment beiwohnt, auch wenn mir nicht klar ist, weshalb.
»Wann hattest du das letzte Mal eine richtige Mahlzeit, Penryn?«, fragt Obi. Er hält den Löffel gerade so weit von meinem Mund weg, dass ich nicht an ihn rankomme. Ich schlucke meinen Speichel, bevor ich antworte.
»Das ist schon eine Weile her.« Ich werfe ihm ein ermutigendes Lächeln zu und frage mich, ob er mich diesen Happen jetzt endlich essen lassen wird. Er führt den Löffel zu seinem Mund, und ich sehe ihm beim Essen zu. Mein Magen rumort protestierend.
»Sag mal, Obi«, unterbricht Raffe. »Was für ein Fleisch ist das?«
Ich blicke zwischen den Soldaten hin und her und bin mir auf einmal nicht mehr sicher, ob ich wirklich hungrig bin.
»Um so viele Menschen zu verpflegen, müsstet ihr sicher verdammt viele Tiere erlegen«, fährt Raffe fort.
»Ich wollte euch gerade fragen, was ihr für Tiere gejagt habt«, sagt Obi. »Ein Mann deiner Größe braucht eine Menge Proteine, um sich seine Muskelmasse zu bewahren.«
»Was willst du damit andeuten?«, frage ich. »Wir greifen niemanden an, wenn es das ist, worauf du hinauswillst.«
Obi blickt mich scharf an. »Woher weißt du davon? Ich habe nichts von angreifen gesagt.«
»Oh bitte, schau mich nicht so an.« Ich werfe ihm einen angeekelten Teenager-Blick zu, den besten, den ich auf Lager habe. »Du wirst doch wohl nicht allen Ernstes glauben, dass wir einen Menschen fressen könnten, oder? Das ist total widerlich.«
»Wir haben eine Familie gesehen«, erklärt Raffe. »Halb aufgefressen auf der Straße.«
»Wo?«, fragt Obi. Er wirkt überrascht.
»Nicht weit weg von hier. Bist du sicher, dass du es nicht warst oder einer deiner Männer?« Raffe rutscht auf seinem Stuhl hin und her, als wolle er Obi daran erinnern, dass er und seine Leute nicht gerade die freundlichsten sind.
»Keiner von uns würde so etwas tun. Das müssen wir auch nicht. Wir haben genügend Vorräte und genug Munition, um jeden hier zu versorgen. Abgesehen davon haben sie letzte Woche gerade erst zwei unserer Leute geschnappt. Ausgebildete Männer mit Gewehren. Warum glaubt ihr, haben wir euch gejagt? Wir stellen Fremden normalerweise nicht nach. Aber wir wüssten gerne, wer das getan hat.«
»Wir jedenfalls nicht«, sage ich.
»Nein, ich glaube tatsächlich nicht, dass du es warst.«
»Er war es auch nicht, Obi«, sage ich. Sein Name schmeckt fremdartig. Anders, aber nicht schlecht.
»Woher willst du das wissen?«
»Müssen wir jetzt schon unsere Unschuld beweisen?«
»Die Welt hat sich verändert.«
»Was bist du, der Sheriff der neuen Weltordnung? Erst festnehmen und hinterher Fragen stellen?«, entgegne ich.
»Was würdet ihr tun, wenn ihr sie erwischt?«, fragt Raffe.
»Wir könnten Leute gebrauchen, die, sagen wir, etwas weniger zivilisiert sind als der Rest von uns. Natürlich müssten wir Vorkehrungen treffen.« Obi seufzt. Man merkt, dass ihm die Idee nicht zusagt, doch er scheint sich mit dem, was getan werden muss, abzufinden.
»Ich verstehe das nicht«, sage ich. »Was würdet ihr denn mit einem Haufen Kannibalen anfangen?«
»Sie auf die Engel ansetzen, natürlich.«
»Das ist doch verrückt«, erwidere ich.
»Falls du es noch nicht gemerkt hast, die ganze Welt ist verrückt geworden. Es ist Zeit, dass wir uns entweder anpassen oder sterben.«
»Indem wir Verrücktes mit Verrücktem bekämpfen?«
»Indem wir mit allem kämpfen, was die Engel verwirren, ablenken oder sogar abstoßen könnte, sofern das überhaupt möglich ist. Mit irgendetwas, das sie vom Rest
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