Angelfall: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
den Kopf. »Werd nicht zu gierig. Wenn wir sie auf unserem Weg nach draußen auch noch ausplündern, vergessen sie uns garantiert nicht so schnell. Und wir wollen doch keinen Ärger, wenn wir ihn vermeiden können.«
Natürlich hat er recht. Und abgesehen davon, wer wäre so blöd, Pistolen in dem Gebäude zu lagern, in dem er Gefangene hält? Beim Gedanken an Wildfleisch läuft mir das Wasser im Mund zusammen. Oh Mann, ich hätte um den Eintopf handeln sollen, als ich die Möglichkeit dazu hatte.
Eine Minute später nickt Raffe kurz, und wir schlüpfen hinaus in die dunkle Nacht.
Raffe und ich rennen. Mein Herz schlägt Purzelbäume in meiner Brust, während ich meine Beine so schnell vorwärts treibe, wie es nur irgend geht. Die Luft vor meinem Mund überzieht sich mit Raureif. Der Geruch von Erde und Bäumen lockt uns in den Wald. Das Rascheln der Bäume im Wind übertönt den harten Aufprall unserer Füße.
Raffe könnte noch sehr viel schneller laufen, doch er bleibt dicht neben mir.
Der Mond verschwindet hinter den Wolken, und der Wald wird dunkel. Als wir sein Blätterdach erreichen, verfalle ich in normales Schritttempo, um nicht gegen einen Baum zu laufen.
Mein Atem geht so schwer, dass ich Angst habe, die Wachen könnten ihn hören. Der Adrenalinrausch unseres Laufs in die Freiheit klingt ab, und ich bin wieder verängstigt und müde. Ich bleibe stehen und beuge mich vor, um zu verschnaufen. Raffe legt eine Hand auf meinen Rücken. Mit sanftem Druck treibt er mich zum Weiterlaufen an. Er ist nicht mal außer Atem.
Er deutet tiefer in den Wald hinein. Ich schüttle den Kopf und zeige zur anderen Seite des Camps. Um seine Flügel zu holen, müssen wir um das Gelände herum. Mein Rucksack ist ersetzbar, aber die Schwingen und das Schwert nicht. Er hält inne und nickt. Ich weiß nicht, ob ihm klar ist, was ich im Sinn habe, doch ich weiß, seine Flügel sind seinen Gedanken nie ganz fern, wie Paige auch den meinen nicht.
Wir umrunden das Camp und dringen dabei so tief in den Wald ein, wie wir können, ohne das Gelände aus den Augen zu verlieren. Manchmal ist das gar nicht so einfach, denn das Mondlicht ist inzwischen sehr schwach, und das Gelände selbst liegt zu einem großen Teil unter dem Blätter dach. Ich muss mich mehr auf Raffes Fähigkeit, bei Nacht zu sehen, verlassen, als mir lieb ist.
Obwohl ich weiß, dass er sehen kann, kann ich nur begrenzt schnell laufen, ohne in einen Ast zu rennen oder den Halt zu verlieren. Es dauert lange, im Dunkeln durch den Wald zu navigieren, und noch länger, mein Versteck zu finden.
Just als ich den Baum entdecke, hinter dem unsere Sachen liegen, höre ich das unverwechselbare Klicken eines Sicherungshebels hinter mir.
Meine Hände sind schon in der Luft, bevor der Typ »keine Bewegung!« rufen kann.
18
»Allein dafür, dass ihr meine Nachtruhe unterbrochen habt, kriegt ihr Latrinendienst.« Obi ist offenkundig kein Morgenmensch, und er macht keinen Hehl daraus, dass er viel lieber schlafen würde, als sich mit Raffe und mir abzugeben.
»Aber was willst du denn von uns?«, frage ich. »Ich hab dir doch gesagt, wir haben diese Leute nicht umgebracht.«
Wir befinden uns wieder genau da, wo wir angefangen haben: Raffe und ich sitzen an Stühle gefesselt in einem Zimmer, das mir langsam wie unser eigenes vorkommt.
»Es geht eher darum, was wir nicht wollen. Wir wollen nicht, dass du anderen von unserem Waffendepot erzählst, dass du ihnen sagst, wie viele wir sind und wo wir uns aufhalten. Jetzt, da ihr unser Camp gesehen habt, können wir euch erst gehen lassen, wenn wir weiterziehen.«
»Und wie lange wird das dauern?«
»Eine Weile.« Er zuckt vage mit den Schultern.
»Wir haben aber keine Weile.«
»Ihr habt so viel Zeit, wie wir es euch sagen«, erwidert Boden, der Wachposten, der uns erwischt hat. Oder zumindest ist das der Name auf seiner Uniform. Natürlich könnte es sich auch um eine Uniform handeln, die er einem toten Soldaten abgenommen hat und auf der schon ein Name stand. »Ihr werdet alles tun, was die Widerstandsbewegung von euch verlangt. Denn ohne sie wären wir alle verdammt, im Höllenfeuer dieser Engel-Wichs…«
»Es reicht, Jim«, fällt Obi ihm ins Wort. In seiner Stimme liegt so viel Überdruss, dass ich vermute, der gute alte Jim und vielleicht noch ein paar andere Soldaten haben genau das schon ungefähr eine Million Mal von sich gegeben, mit dem Eifer der frisch Bekehrten.
»Es ist wahr«, fügt Obi dann hinzu. »Die
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