Angelfall: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
zum Heldendasein bestimmt sind.
Nur ist dies nicht meine Schlacht. Meine Schlacht wird es sein, meine Schwester heil und unversehrt zurückzubekommen. Meine Mutter aus allem Ärger herauszuhalten und sie an einen sicheren Ort zu bringen. Das, was von meiner Familie noch übrig ist, zu beschützen. Und bis meine Schlachten nicht dauerhaft gewonnen sind, kann ich mir den Luxus nicht erlauben, über diesen Horizont hinauszublicken, auf einen größeren Gesamtzusammenhang mit Göttern und romantischen Helden.
Zurzeit kämpfe ich lediglich gegen Flecken in Leintüchern, die doppelt und dreifach so groß sind wie ich. Und ganz ehrlich: Nichts nimmt dem Leben so viel Ro mantik und Erhabenheit, wie Flecken aus Leintüchern zu schrubben.
Eine der Frauen sorgt sich um ihren Mann, der – so sagt sie – »Soldat spielt«, obwohl er in den letzten zwanzig Jah ren kaum aus seinem Programmiererstuhl aufgestanden ist. Außerdem macht sie sich um ihren Golden Retriever Gedanken, der bei den anderen Hunden im Zwinger steckt.
Wie sich herausstellt, sind die meisten der sogenannten Wachhunde in Wirklichkeit Haustiere der Campbewohner. Sie versuchen lediglich, sie zu Wachhunden abzurichten, damit sie alle so gemein und bösartig werden wie die, die Raffe gejagt haben, doch in Wirklichkeit haben sie meistens gar nicht genug Zeit, sie zu trainieren. Abgesehen davon haben die Tiere ihr ganzes Leben mit spielen verbracht und damit, verhätschelt zu werden, und ganz offensichtlich ist es nicht ganz einfach, sie in grausame Killer zu verwandeln, wenn sie einen lieber halb zu Tode lecken oder Eichhörnchen jagen würden.
Dolores versichert mir, dass ihrer, Checkers, einer von der »zu-Tode-lecken«-Sorte ist und der Wald hier draußen für die meisten Hunde das Paradies. Ich nicke und verstehe sie dabei besser, als sie ahnt. Das ist also der Grund, weshalb die Wachen keine Hunde dabeihaben. Man kann eben schwer patrouillieren, wenn einem die vierbeinigen Partner immerzu davonstürmen, hinter Nagern herjagen und die ganze Nacht bellen. Da hatten wir wirklich Glück im Unglück.
Beiläufig versuche ich, das Gespräch auf die Frage zu lenken, wer oder was wohl an den Flüchtlingen auf der Straße herumgenagt hat. Doch alles, was ich ernte, sind wachsame Blicke und ängstliche Gesichter. Eine Frau bekreuzigt sich. So was von einem Gesprächskiller.
Ich nehme eine schmuddelige Hose und tauche sie ins trübe Wasser, während wir wieder dazu übergehen, schweigend zu arbeiten.
Obwohl Raffe und ich Gefangene sind, gibt es niemanden, der uns so richtig bewacht. Das heißt, niemand wurde explizit damit beauftragt, uns zu bewachen. Aber das ganze Camp weiß, dass wir Neulinge sind, und als solche werden wir von allen im Auge behalten.
Damit Raffes zu schnell heilende Kopfwunde keine Aufmerksamkeit erregt, kleben wir am Morgen als Erstes zwei Pflaster an seinen Haaransatz. Wir haben uns die Erklärung zurechtgelegt, dass Kopfwunden ja sehr stark blu ten und die Verletzung daher kleiner war, als es letzte Nacht den Anschein hatte. Doch niemand fragt nach. Außerdem habe ich einen raschen Blick auf die Verbände auf Raffes Rücken geworfen: Blut in Form von Flügelgelenken. Getrocknet und unverwechselbar. Aber daran können wir jetzt nichts ändern.
Raffe gräbt zusammen mit ein paar anderen Männern eine Grube neben den Dixi-Klos. Er ist einer der wenigen, die noch immer ihr Hemd anhaben. An der Stelle, wo sich seine Verbände befinden, zeichnet sich ein trockenes Band unter dem Stoff ab, aber auch das scheint niemand zu bemerken. Mein geschultes Auge entdeckt den Schmutz auf seinem Hemd, und ich hege die Hoffnung, dass nicht ich diejenige sein werde, die es für ihn waschen muss.
Etwas Glänzendes in der Sichtschutzmauer, die die Män ner um die Latrine herum errichten, reflektiert die Sonnenstrahlen. Ich bewundere die perfekte Symmetrie der rechteckigen Kästen, bis ich endlich begreife, um was es sich handelt: Computerbildschirme. Die Männer stapeln Computer übereinander und zementieren sie in die Mauer.
»Jepp«, sagt Dolores, als sie meinen Blick bemerkt. »Mein Mann hat sein elektronisches Spielzeug immer als ›Elektroschrott‹ bezeichnet, wenn es ausgemustert wurde.«
Ausgemustert, alles klar. Computer waren einst der Gipfel unseres technischen Könnens, und jetzt benutzen wir sie dank der Engel als Latrinenwände.
Ich gehe wieder dazu über, eine Hose auf dem Waschbrett zu rubbeln.
Es dauert eine halbe Ewigkeit, bis es Zeit ist
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