Angelfall: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
heraus, und ich lege mein gesamtes Körpergewicht hinein.
Ich spüre, wie die Wucht meiner Attacke seine Nase zerschmettert. Und noch besser: Er hatte gerade wieder zu den obszönen Bewegungen mit seiner Zunge angesetzt, sodass die nun zwischen seinen Kiefern zermalmt wird. Blut spritzt, und sein Kopf wird nach hinten geschleudert.
Klar, ich bin richtig sauer. Aber ganz undurchdacht war das hier nicht. Selbst wenn ich vielleicht öfter mal den Mund aufmache, ohne mein Hirn einzuschalten – wenn es ums Kämpfen geht, tue ich das nie. Ich hielt es für einen klugen Schachzug, den ersten Schritt zu machen. Einschüchterung ist eine populäre Taktik unter Schlägern. Vom kleineren, schwächeren Gegner wird erwartet, dass er sich duckt und verschwindet.
Meine schnellen Kalkulationen lauteten ungefähr so: Er ist circa dreißig Zentimeter größer und breiter als ich, ein ausgebildeter Soldat, und ich bin ein Mädchen. Wenn ich ein Mann gewesen wäre, hätte man uns die Sache wohl austragen lassen. Doch wenn eine junge Frau einen bewaffneten Kerl schlägt, der größer ist als sie und drohend über ihr schwebt, dann sind die Leute für gewöhnlich der Ansicht, dass es sich um einen Akt der Selbstverteidigung handeln muss. Bei all den Machos, die hier rumlaufen, gebe ich dem Ganzen ungefähr zehn Sekunden, dann wird jemand unseren Streit beenden.
Ich würde also als Sieger daraus hervorgehen, ohne größere Schäden davonzutragen, denn erstens würde Obi auf mich aufmerksam werden, was ich ja von Anfang an wollte, und zweitens würde ich diesen Schwachkopf hier erniedrigen, indem ich allen zeige, was für ein fieser Mädchenpeiniger er ist. Und drittens würde ich klarstellen, dass ich keine leichte Beute bin.
Womit ich allerdings nicht gerechnet habe, ist, was Boden in zehn Sekunden alles fertigbringt.
Ein paar Sekunden braucht er, um mich schockiert anzustarren und so richtig wütend zu werden.
Dann donnert er mir einen Megafaustschlag gegen den Kiefer.
Und stürzt sich auf mich.
Ich lande auf dem Rücken und versuche verzweifelt, trotz des Schmerzes in Gesicht und Lunge zu Atem zu kommen. Er setzt sich auf mich, und ich schätze, dass ich noch ungefähr zwei Sekunden habe. Vielleicht wird ein blitzschneller, ritterlicher Soldat meine Schätzung unterbieten, ja vielleicht kommt Raffe ja schon herbeigestürzt, um diesen Gorilla von mir runterzureißen.
Mit einer Hand packt Boden mich am Kragen, während er die andere für einen neuerlichen Hieb zur Faust ballt. Okay, ich muss nur diesen einen Schlag überleben, dann wird jemand kommen, zwangsläufig.
Ich greife nach seinem kleinen Finger auf meinem Sweatshirt und verdrehe ihn so fest ich kann, biege ihn einmal komplett um.
Es ist eine kaum bekannte Tatsache, dass sich mit dem kleinen Finger immer auch die ganze Hand, das Handgelenk und der Körper mitdrehen. Andernfalls würde irgendwann etwas brechen. Er zuckt zusammen, beißt die Zähne aufeinander und windet seinen Körper mit dem Finger mit.
In diesem Moment erhasche ich einen Blick auf die Umstehenden.
Ich dachte schon, in diesem Camp seien die langsamsten Soldaten der Welt versammelt. Aber ich habe mich geirrt. Eine verblüffende Anzahl von Leuten hat es in Rekordzeit zu uns geschafft. Das Problem ist nur, dass sie sich aufführen wie Kinder auf dem Schulhof – anstatt den Kampf zu unterbrechen, kommen sie hergerannt, um ihn sich anzusehen.
Diesen einen Augenblick, in dem ich abgelenkt bin, nutzt Boden und rammt einen Ellbogen in meine rechte Brust.
Die Heftigkeit des Schmerzes bringt mich fast um. Ich krümme mich zusammen, so gut das mit dem 90-Kilo-Muskelpaket auf mir eben geht, doch das schützt mich nicht vor der Ohrfeige, die er mir mit der flachen Hand verpasst.
Nicht genug damit, dass er mir wehtut, jetzt beleidigt er mich auch noch. Wenn ich ein Mann wäre, hätte er mir mit geballter Faust eine übergebraten. Super. Wenn er mir eine schlichte Backpfeife nach der nächsten verabreicht und ich trotzdem noch verliere, dann beweise ich damit lediglich, dass ich jemand bin, den man nach Herzenslust rumschubsen kann.
Wo ist eigentlich Raffe, wenn man ihn braucht? Aus dem Augenwinkel sehe ich ihn zwischen ein paar verschwommenen Gesichtern. Er blickt überaus grimmig drein. Er schreibt etwas auf einen Geldschein, den er dann einem Typen zuschiebt, der auch von allen anderen um sich herum Geld einsammelt.
Mir dämmert, was sie da tun: Sie schließen Wetten ab!
Und noch schlimmer: Die wenigen,
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