Angelfall: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
spät ist.
Er schüttelt den Kopf, sein Mitgefühl wirkt aufrichtig. »Es tut mir leid. Jeder von uns musste jemanden begraben, den er liebt. Schließ dich uns an, und wir sorgen dafür, dass diese Bastarde dafür bezahlen.«
»Ich habe nicht vor, sie zu begraben. Sie ist nicht tot.« Mühsam bringe ich die Worte hervor. »Ich werde sie finden und sie da rausholen.«
»Natürlich. Das wollte ich nicht unterstellen.« Aber das hat er, und wir wissen es beide. Trotzdem gebe ich vor, seine hübschen Worte zu glauben. Wie ich von anderer Leute Mütter gehört habe: Höflichkeit ist sich selbst Lohn genug. »Wir werden bald weiterziehen, und dann kannst du gehen, wenn du willst. Aber ich hoffe, du tust es nicht.«
»Wann ist bald?«
»Das kann ich leider nicht verraten. Alles, was ich sagen darf, ist, dass wir etwas Großes planen. Und du solltest ein Teil davon sein. Für deine Schwester, für die Menschheit, für uns alle.«
Er ist gut. Ich verspüre den Drang aufzustehen, zu salutieren und dabei die Nationalhymne zu summen. Aber ich glaube nicht, dass ihm das gefallen würde.
Ich bin natürlich für die Menschen. Aber ich habe schon jetzt mehr Verantwortung, als ich bewältigen kann. Ich will einfach nur ein normales Mädchen mit einem normalen Leben sein. Meine größte Sorge sollte sein, welches Kleid ich zum Schulball anziehe und nicht, wie ich aus einem paramilitärischen Lager flüchte, um meine Schwester vor grausamen Engeln zu retten. Und ganz bestimmt sollte ich mir keine Gedanken darüber machen müssen, ob ich mich einer Widerstandsarmee anschließe, um eine Invasion zurückzuschlagen und die Menschheit zu retten. Ich kenne meine Grenzen, und das hier überschreitet sie bei Weitem.
Also nicke ich nur. Daraus kann er sich zusammenreimen, was er will. Ich habe nicht wirklich erwartet, dass er mich gehen lässt, aber ich musste es zumindest versuchen.
Sobald er zur Tür hinaus ist, schlurft die zweite Gruppe von Mittagessern wieder herein. Es muss eine ausgesprochene oder unausgesprochene Regel existieren, dass man Obi in Ruhe lässt, wenn er mit einem Kämpfer eine Unterredung führt. Interessant, dass er mich zur Mittagszeit ausgerechnet in die Kantine gebracht und alle anderen hat warten lassen, bis wir fertig waren. Damit hat er den Camp bewohnern das klare Signal gegeben, dass ich jemand bin, den er bemerkt hat.
Ich stehe auf und gehe mit hochgerecktem Kinn hinaus. Um mit niemandem reden zu müssen, meide ich jeden Blick kontakt. Die Erbsen halte ich beim Gehen nach unten, um die Aufmerksamkeit nicht noch mehr auf meine Verletzungen zu lenken. Als würden die Leute vergessen, dass ich es war, die da gekämpft hat. Wenn sich Raffe in der Menge befindet, die zum Mittagessen hereinströmt, sehe ich ihn nicht. Auch gut. Ich hoffe, er hat den Streit mit seinem Buchmacher verloren. Er verdient es, die Wette verloren zu haben.
Kaum bin ich draußen und gehe zwischen den Gebäuden zum Wäscherei-Bereich hinüber, treten zwei rothaarige Jungs hinter einem Haus hervor. Hätten sie nicht beide genau das gleiche Junge-von-nebenan-Lächeln, ich würde denken, sie wollen mich überfallen.
Es sind eineiige Zwillinge. In ihrer schmutzigen Zivilkleidung wirken sie rauflustig und abgerissen, aber das ist dieser Tage nichts Ungewöhnliches. Zweifellos sehe ich genauso rauflustig und abgerissen aus. Sie sind groß, dürr, kaum aus dem Teenageralter raus und haben schelmische Augen.
»Gute Arbeit da draußen, Champ«, sagt der eine Typ.
»Mann, du hast dem alten Jimmy Boden wirklich einen Dämpfer verpasst«, sagt der zweite. Er strahlt geradezu. »Hätte keinen Besseren treffen können.«
Ich stehe einfach nur da, nicke und lächle weiter höflich, während ich mir die gefrorenen Erbsen an den Kiefer halte.
»Ich bin Dideldei«, sagt der eine.
»Ich bin Dideldum«, sagt der andere. »Die meisten benutzen die Kurzform Dei-Dum, da sie uns eh nicht auseinanderhalten können.«
»Ihr macht Witze, oder?«
Einmütig und mit dem gleichen freundlichen Lächeln schütteln sie den Kopf. Sie wirken eher wie zwei unterernährte Vogelscheuchen als wie die pummeligen Zwillinge Dideldei und Dideldum aus meiner Kindheit.
»Warum nennt ihr euch so?«
Dei zuckt die Achseln. »Neue Welt, neue Namen. Eigentlich wollten wir Gog und Magog sein.«
»Das waren unsere Online-Namen«, erklärt Dum.
»Doch warum die Untergangsstimmung?«, fährt Dei fort.
»Gag und Magog zu sein war lustig, als die Welt noch in Ordnung war und
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