Angelfall: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
höre.
Anita starrt sie an, als hätten sie soeben Schleim gespuckt. Diesen Blick habe ich ungefähr eine Million Mal in den Korridoren der Schule gesehen, wenn irgendein Nerd gegenüber einem beliebten Mädchen im Beisein ihrer Clique zu vertraulich wurde. Sie wendet sich wieder Raffe zu, ihr Gesicht zerfließt in einem strahlenden Lächeln. Als er sich gerade die Hose ausziehen will, legt sie ihm eine Hand auf den Arm.
Das ist genau der Vorwand, den ich brauche.
Ich schnappe mir ein schaumiges Hemd aus dem grauen Wasser und schleudere es auf sie. Klatschend landet es in ihrem Gesicht und wickelt sich um ihr Haar, ihre perfekte Frisur wird strähnig und fällt in sich zusammen. Ihre Wimperntusche verschmiert, während das tropfnasse Stück Stoff ihre Bluse hinunterrutscht. Sie stößt ein schrilles Kreischen aus. Jeder Kopf in Hörweite dreht sich nach uns um.
»Oh, das tut mir leid«, sage ich zuckersüß. »Fandest du das nicht gut? Ich dachte, du wolltest das. Ich meine, warum sonst vergreifst du dich plötzlich an meinem Freund?«
Die kleine Menschenansammlung um uns herum wächst mit jeder Sekunde. Oh ja, Baby. Kommt nur her. Kommt alle her und seht euch diese Freakshow an. Raffe verschwindet in der größer werdenden Menge und knöpft sich diskret sein Hemd zu. Und da dachte ich, er hätte bei meinem letzten Kampf böse ausgesehen.
Anitas riesige Augen blicken hilflos zu Raffe auf. Sie wirkt wie ein gequältes Kätzchen, fassungslos und verletzt. Das arme Ding. Mir kommen Bedenken, ob ich das wirklich durchziehen kann.
Dann sieht sie mich an. Echt erstaunlich, wie schnell sich ihr Gesichtsausdruck verändern kann, je nachdem, wen sie gerade ansieht. Sie wirkt fuchsteufelswild, und als sie auf mich zugestakst kommt, verwandelt sich ihr Ärger in bodenlose Wut.
Beeindruckend, wie bösartig eine Frau aussehen kann, wenn sie sich einmal dazu entschlossen hat. Entweder ist sie eine teuflisch gute Schauspielerin, oder Dei-Dum hatten mit ihrer Inszenierung noch etwas anderes im Sinn. Ich wette, sie hat keine Ahnung von dem geplanten Kampf. Warum den Gewinn teilen, wenn man sich stattdessen rächen kann? Bestimmt war es nicht das erste Mal, dass Anita Dei-Dum geringschätzig behandelt hat. Wobei ich nicht eine Sekunde lang glaube, dass sie sich wirklich gekränkt fühlen.
»Meinst du wirklich, dass du einen Mann wie ihn dazu bringen kannst, dir einen zweiten Blick zuzuwerfen?« Anita schleudert das nasse Hemd auf mich. »Du kannst ja schon von Glück reden, wenn sich ein einbeiniger Opa für dich interessiert!«
Okay. Ich kann das doch.
Ich beuge mich ein bisschen vor, um sicherzugehen, dass mich das Hemd auch wirklich trifft.
Dann gehen wir es an, mit all unserer weiblichen Glorie. Haareziehen, Ohrfeigen, am Oberteil reißen, kratzen. Wir kreischen wie zwei Cheerleader, die in eine Schlammgrube gefallen sind.
Während wir in einem betrunkenen Tanz herumstolpern, stoßen wir gegen einen Waschzuber. Krachend fällt er herunter und bespritzt alles um uns herum mit Wasser.
Sie fällt über das Becken und klammert sich dabei an mich. Gemeinsam gehen wir zu Boden. Während wir im Dreck um die Waschzuber herumrollen, schlingen sich unsere Körper ineinander.
Es ist nicht leicht, würdevoll auszusehen, wenn jemand deinen Kopf an den Haaren bis zu den Schultern runterzieht. Wie peinlich. Ich tue mein Bestes, um so auszusehen, als würde ich tatsächlich kämpfen.
Die Menge gerät außer Rand und Band, sie jubelt und klatscht. Während wir uns auf dem Boden herumwälzen, erhasche ich einen Blick auf Dei-Dum. Es fehlt nicht viel, und die beiden würden vor Vergnügen auf und ab hüpfen.
Wie um Himmels willen verliert man so einen Kampf? Soll ich heulend zusammenbrechen? Oder kopfüber in den Dreck fallen, mich ein paar Mal kratzen lassen und mich dann wimmernd zusammenrollen? Ich bin völlig ratlos, wie ich das hier zu Ende bringen soll.
Plötzlich werden sämtliche Gedanken an den Kampf von einem Schuss zerrissen.
Er kommt von irgendwo jenseits der Menge, doch er ist nah genug, um sämtliche Anwesende in jäher Lautlosigkeit erstarren zu lassen.
Zwei weitere schnell aufeinander folgende Schüsse.
Dann hallt ein Schrei durch die Wälder. Ein sehr menschlicher, entsetzter Schrei.
21
Der Wind raschelt in den Baumkronen. Mein Blut pocht in meinen Ohren.
Einige Herzschläge lang starren alle mit weit aufgerissenen Augen in die Dämmerung, als erwarteten sie, dass ein Albtraum zum Leben erwacht. Dann, wie auf
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