Angelfall: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
groß, klobig und irgendwie einschüchternd. Der Wagen sieht verdammt nach dem Laster aus, den sie gestern mit Sprengstoff beladen haben. Langsam, aber zielstrebig rumpelt er an uns vorbei Richtung Stadt.
Eine Karawane. Eine recht verstreute Karawane, aber ich wette den Inhalt meines Rucksacks, dass vor und hinter dem Laster noch weitere Autos folgen. Durch den zeitlichen Abstand versuchen sie, weniger aufzufallen. Wahrscheinlich haben die vorausfahrenden Autos den Hummer über die anfliegenden Engel informiert. Und selbst wenn es das erste Auto erwischen würde, der Rest der Karawane wäre in Sicherheit. Mein Respekt vor Obis Leuten wächst noch ein wenig.
Als das Motorengeräusch abebbt, richten wir uns hinter dem Lieferwagen auf und beginnen, nach einem Vehikel für uns selbst Ausschau zu halten. Ich hätte ja lieber einen unauffälligen Kleinwagen, der nicht so viel Lärm macht und dem das Benzin nicht so schnell ausgeht. Aber ein solches Auto wäre das letzte, das Obis Männer fahren würden, also orientieren wir uns an der großen Auswahl bulliger SUV s auf der Straße.
Die Schlüssel befinden sich meistens nicht im Inneren der Autos. Auch in Zeiten des Weltuntergangs, wo eine Tüte Cracker mehr wert ist als ein Mercedes, nehmen die Leute die Schlüssel immer noch mit, wenn sie ihre Wagen stehen lassen. Aus Gewohnheit, schätze ich.
Nachdem wir ein halbes Dutzend Autos geprüft haben, finden wir einen schwarzen SUV mit getönten Scheiben und Schlüsseln auf dem Beifahrersitz. Der Fahrer muss sie aus Gewohnheit abgezogen und dann gedacht haben, dass es keinen Sinn hat, wertloses Metall auf der Straße mit sich herumzuschleppen. Der Tank ist noch zu einem Viertel voll. So sollten wir es zumindest bis San Francisco schaffen, sofern die Straße bis dorthin frei ist. Aber es reicht nicht, um uns wieder zurückzubringen.
Zurück? Wohin zurück?
Ich bringe die Stimme in meinem Kopf zum Schweigen und steige ein. Raffe nimmt auf dem Beifahrersitz Platz. Der Wagen startet beim ersten Versuch, und wir beginnen damit, uns den Freeway 280 Richtung Norden hinaufzuschlängeln.
Noch nie fand ich es so spannend, mit 30 Stundenkilo metern zu fahren. Als ich das Lenkrad umfasse, klopft mein Herz wie wild, als könne es jeden Moment außer Kontrolle geraten. Aber ich kann nicht auf die Hindernisse auf der Straße achten und gleichzeitig nach Angreifern Ausschau halten. Ich werfe Raffe einen schnellen Blick zu. Er scannt die Umgebung inklusive der Außenspiegel ab, und ich entspanne mich ein wenig.
»Also, wohin fahren wir genau?« Auch wenn ich mich in San Francisco nicht besonders gut auskenne, war ich schon ein paarmal da und habe eine ungefähre Vorstellung davon, wo sich welcher Stadtteil befindet.
»Ins Bankenviertel.« Er kennt die Gegend gut genug, um einzelne Viertel zu benennen. Ich wundere mich kurz, wie das möglich ist, lasse es dann aber gut sein. Vermutlich hängt er hier schon ein bisschen länger rum als ich und hatte mehr Zeit, die Welt zu erforschen.
»Ich glaube, der Freeway läuft da oder zumindest da in der Nähe durch. Immer angenommen, die Straße ist frei, was ich bezweifle.«
»In der Nähe des Horsts herrscht Ordnung. Die Straßen sollten also frei sein.«
Ich blicke ihn scharf an. »Was meinst du mit Ordnung?«
»Auf der Straße neben dem Horst werden Wachen postiert sein. Wir müssen uns vorbereiten, bevor wir dorthin fahren.«
»Vorbereiten? Wie?«
»Im letzten Haus habe ich etwas für dich zum Umziehen gefunden. Und auch ich werde mein Aussehen verändern müssen. Aber überlass die Details ruhig mir. An den Wachen vorbeizukommen ist unser geringstes Problem.«
»Na prima. Und dann was?«
»Dann wird es Zeit, den Horst aufzumischen.«
»Du bist bestens informiert, oder? Aber eins sage ich dir, ich gehe nicht, bevor ich nicht weiß, auf was ich mich da einlasse.«
»Dann geh nicht.« Sein Ton ist nicht unfreundlich, aber seine Intention ist klar.
Es wundert mich, dass das Lenkrad nicht entzweibricht, so fest, wie ich es umklammert halte.
Es ist kein Geheimnis, dass wir nur für eine gewisse Zeit Verbündete sind. Keiner von uns tut so, als hätte unsere Partnerschaft Bestand. Ich helfe ihm, mit seinen Flügeln nach Hause zu gelangen, und er hilft mir, meine Schwester zu finden. Danach bin ich auf mich allein gestellt. Für einen Moment habe ich das vergessen.
Doch nach den paar Tagen, in denen jemand auf mich aufgepasst hat, fühlt sich der Gedanke, wieder allein zu sein …
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