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Angelfall: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Angelfall: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Titel: Angelfall: Roman (Heyne fliegt) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Ee
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einsam an.
    Ich fahre die offen stehende Tür eines Lasters ab.
    »Ich dachte, du kannst das Ding fahren.«
    Ich merke, dass ich das Gaspedal immer weiter runterge drückt habe. Wie trunken schlingern wir bei sechzig Stundenkilometern dahin. Ich bremse auf dreißig Kilometer pro Stunde herunter und zwinge meine Finger, sich zu lockern.
    »Überlass mir das Fahren, dann überlass ich dir die Planung.« Zur Beruhigung muss ich tief einatmen. Die ganze Zeit über war ich böse auf meinen Dad, weil er mich verlassen hat und ich all diese schweren Entscheidungen treffen musste. Doch jetzt, da Raffe die Führung übernimmt und darauf besteht, dass ich ihm blind folge, krampft sich mir der Magen zusammen.
    An der Straße sehen wir ein paar abgerissen wirkende Menschen, doch es sind nicht allzu viele. Als sie unser Auto erblicken, laufen sie eilig davon. Die Art, wie sie uns anstarren, wie sie sich verstecken, wie sie uns aus ihren lauernden, schmutzigen Gesichtern voll brennender Neugier anglotzen, ruft mir wieder das verhasste Wort ins Gedächtnis: Affen. Das also haben die Engel aus uns gemacht.
    Als wir uns der Stadt nähern, begegnen wir immer mehr Leuten, und der Pfad wird weniger labyrinthisch.
    Irgendwann ist die Straße zwar fast frei von Autos, aber nicht von Menschen. Noch immer mustern sie unseren Wagen, doch das Interesse lässt nach, als sei ein fahrendes Auto ein gewohnter Anblick. Je näher wir der Stadt kommen, desto mehr Menschen laufen auf der Straße herum. Bei jeder Bewegung und bei jedem Geräusch blicken sie sich misstrau isch um, aber zumindest halten sie sich hier im Freien auf.
    Als wir schließlich in die Stadt hineinfahren, ist die Verwüstung überall. Wie viele andere Städte auch wurde San Francisco komplett zerstört, und es sieht aus wie in einem schwelenden, postapokalyptischen, herzzerreißenden Albtraum aus einem Hollywood-Blockbuster.
    Ich erhasche einen Blick auf die Bay Bridge, eine gestrichelte Linie, die übers Wasser führt und der ein paar entscheidende Stücke in der Mitte fehlen. Auf Fotos habe ich gesehen, wie die Stadt nach dem Erdbeben im Jahr 1906 ausgesehen hat. Die Zerstörung war verheerend, und ich fand es immer schwer, mir auszumalen, wie das damals gewesen sein muss.
    Jetzt brauche ich es mir nicht mehr vorzustellen.
    Ganze Häuserblocks liegen verkohlt in Trümmern. Die Meteoritenschauer, die Erdbeben und Tsunamis, mit denen alles anfing, haben nur einen Teil des Schadens angerichtet. San Francisco war eine Stadt, in der ganze Reihen von Häusern und Gebäuden so dicht beieinanderstanden, dass kein Blatt Papier dazwischen gepasst hat. Gasleitungen sind explodiert und haben ein Feuer verursacht, das unkontrolliert wütete. Tagelang war der Himmel voll mit blutrot gefärbtem Rauch.
    Alles, was jetzt noch übrig ist, sind die Skelette der Wolkenkratzer, ab und an eine Backsteinkirche, die noch steht, und eine Menge Pfeiler, die nichts mehr stützen.
    Ein Schild verkündet »Leben ist g t«. Schwer zu sagen, welches Produkt das Schild anpreisen sollte, denn es ist rundherum und da, wo der Buchstabe fehlt, angesengt. Ich schätze, früher stand da mal »Das Leben ist gut.« Das ausgeweidete Gebäude dahinter sieht geschmolzen aus, als würde es noch immer an der Wirkung eines Feuers leiden, das einfach nicht verlischt, sogar jetzt nicht, unter einem fremden blauen Himmel.
    »Wie ist das möglich?« Ich merke nicht mal, dass ich die Worte laut ausgesprochen habe, bis ich die Tränen in meiner Stimme höre. »Wie konntet ihr das tun?«
    Meine Frage klingt persönlich, und vielleicht ist sie das auch. Denn soweit ich weiß, könnte Raffe höchstpersönlich für all die Vernichtung um mich herum verantwortlich sein.
    Den Rest der Fahrt über sagt er nichts mehr.
    Inmitten dieses Leichenhauses, ein paar Blocks entfernt, steht das Bankenviertel hoch aufragend und glänzend in der Sonne. Es wirkt beinahe vollkommen unversehrt. Zu meiner großen Verwunderung entdecke ich ein Behelfscamp in der Gegend gleich außerhalb des Bankendistrikts, wo früher South of Market war.
    Ich will um ein anderes Auto herumfahren, von dem ich dachte, es sei leer, als es plötzlich einen Satz nach vorne macht. Ich steige in die Bremsen. Der Fahrer wirft mir einen bösen Blick zu und fährt an mir vorbei. Sieht aus, als sei er gerade mal zehn Jahre alt. Er ist kaum groß genug, um über das Armaturenbrett zu schauen.
    Das Camp ist eher wie eine dieser Barackensiedlungen, die wir in den Nachrichten

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