Angelfall: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
ich die Hände in die Höhe. »Du sagst, wo’s langgeht, und ich folge dir. Hilf mir nur, meine Schwester zu finden.« Ich tue so, als würde ich einen Schlüssel in einem Schloss zwischen meinen Lippen umdrehen und wegwerfen.
Er glättet sein bereits glattes Jackett. Ist das etwa Nervosität? Dann bietet er mir einen Arm an. Ich lege meine Hand in seine Armbeuge, und gemeinsam gehen wir den Bürgersteig entlang.
Zunächst ist er noch recht steif, und seine Augen scannen ohne Unterlass die Umgebung ab. Wonach sucht er bloß? Hat er unter seinen eigenen Leuten wirklich so viele Feinde? Nach ein paar Schritten entspannt er sich, ob von sich aus oder notwendigerweise, weiß ich nicht. So oder so sehen wir jetzt wie ein ganz normales Paar aus, das abends noch ausgegangen ist.
Als wir uns dem Grüppchen nähern, kann ich weitere Einzelheiten ausmachen. Einige der Engel, die den Klub betreten, tragen altmodische Gangsteranzüge mit wattierten Schultern, eng zulaufenden weiten Hosen, Filzhüten und kecken Federn. Lange Uhrenketten hängen ihnen bis auf die Knie hinunter.
»Was ist das, eine Kostümparty?«, frage ich.
»Nein, das ist einfach nur die aktuelle Mode hier im Horst.« Er ist etwas kurz angebunden, als würde er das nicht billigen.
»Und was ist mit der Regel, sich nicht mit den Töchtern der Menschen einzulassen?«
»Eine ausgezeichnete Frage.« Er presst die Zähne aufeinander, und seine Lippen werden zu einem schmalen Strich. Ich glaube, ich will nicht dabei sein, wenn er nach einer Antwort auf diese Frage verlangt.
»Also, du wirst verdammt, wenn du mit Menschen Kinder zeugst, weil Nephilim total tabu sind«, sage ich. »Aber alles davor …?«
Er zuckt die Achseln. »Anscheinend hat man beschlossen, dass es sich um eine Grauzone handelt. Sie könnten alle dafür brennen.« Dann fügt er flüsternd und wie zu sich selbst hinzu: »Aber Feuer kann sehr verführerisch sein.«
Der Gedanke an übermenschliche Wesen mit menschlichen Versuchungen und Fehlern lässt mich erschauern.
Wir laufen an der Security eines Gebäudes vorbei, überqueren eine Straße, und schon stehe ich wieder mitten im Wind, der mir erbarmungslos entgegenpeitscht. Windkanäle sind ein Dreck gegen die Straßen von San Francisco.
»Versuch, nicht so verfroren auszusehen.«
Ich richte mich auf, obwohl ich nichts lieber täte, als mich zusammenzukauern. Wenigstens ist mein Rock nicht lang genug, um vom Wind hochgepeitscht zu werden.
Die Gelegenheit, weitere Fragen zu stellen, versiegt, als wir uns der Gruppe nähern. Die ganze Szene fühlt sich irgendwie surreal an. Es ist, als würde ich aus einem Flüchtlingslager geradewegs in einen exklusiven Luxusklub katapultiert, bevölkert mit Smokings, Frauen in Abendkleidung, teuren Zigarren und Schmuck.
Die Kälte scheint keinen der Engel zu stören, die träge ihren Zigarrenrauch in den Wind blasen. Nicht in einer Million Jahre hätte ich gedacht, dass Engel rauchen. Die Typen hier sehen eher nach Gangstern als nach gottesfürchtigen Engeln aus. Jeder hat mindestens zwei Frauen um sich herum, die ihn mit Aufmerksamkeit überschütten. Um einige von ihnen scharen sich vier oder noch mehr. Den einzelnen Gesprächsfetzen nach zu urteilen, die ich im Vorbeigehen auffange, versuchen die Frauen alles Menschenmögliche, um von den Engeln beachtet zu werden.
Raffe geht an dem verweilenden Grüppchen vorbei in Richtung Tür. Zwei Engel stehen dort Wache. Er ignoriert sie und läuft weiter. Meine Hand ruht in seiner Armbeuge, und ich gehe einfach dahin, wo er hingeht. Einer der Wachmänner beäugt uns kritisch, als würde sein Spürsinn bei unserem Anblick Alarmsignale aussenden.
Einen Moment lang bin ich sicher, dass er uns aufhalten wird.
Stattdessen stoppt er zwei Frauen, die versuchen, ins Innere zu gelangen. Wir gehen an ihnen vorbei und lassen sie allein bei dem Versuch, die Wachen davon zu überzeugen, dass ihr Engel sie lediglich hier draußen vergessen hat und drinnen auf sie wartet. Der Wachmann schüttelt nachdrücklich den Kopf.
Offensichtlich ist ein Engel die Eintrittskarte für den Horst. Ich atme aus, als wir durch die Türen ins Innere vordringen.
28
Mit seinem zweistöckigen Deckengewölbe und den Art-déco-Elementen vermittelt das Innere des Gebäudes den Eindruck, als solle das Foyer ausschließlich Leute mit guter Kinderstube in Empfang nehmen. Eine geschwungene, vergoldete Treppe dominiert den Raum und schafft eine Bilderbuchkulisse für Paare edelster Abstammung in
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