Angelfall: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
Mensch ist.
Der Gesprenkelte bedeutet mir, auszusteigen. Ich zögere einen Moment lang. Bei den anderen Mädchen in den Autos vor mir hat er das nicht getan.
Ich ziehe den Saum meines Kleids nach unten und versichere mich, dass es über den Po reicht, bevor ich aussteige. Als die Wachen mich von oben bis unten mustern, widerstehe ich nur mit Mühe dem Drang, einen Buckel zu machen und die Arme vor der Brust zu verschränken.
Der Gesprenkelte gibt mir einen Wink, damit ich mich einmal um mich selbst drehe. Ich komme mir wie eine Stripperin vor und würde ihnen am liebsten in die Zähne treten, stattdessen vollführe ich auf meinen hohen Absätzen eine wackelige Drehung. Denk an Paige, denk an Paige.
Die Wachen wechseln einen Blick. In Panik zerbreche ich mir den Kopf, was ich tun oder sagen könnte, damit sie mich einlassen.
Der Gesprenkelte winkt mich durch.
Ich bin so verblüfft, dass ich für einen Moment einfach nur wie angewurzelt dastehe.
Dann, bevor sie es sich anders überlegen, wende ich mich schnell ab. So kann ich es wenigstens nicht sehen, sollten sie doch noch die Köpfe schütteln. So beiläufig wie möglich gleite ich wieder in meinen Autositz.
Die Härchen auf meinem Nacken stellen sich auf. Eigentlich erwarte ich, dass jeden Moment ein Pfiff ertönt, sich mir eine Hand auf die Schulter legt oder ein deutscher Schäferhund hinter mir herschnüffelt, genau wie in alten Kriegsfilmen. Denn schließlich sind wir ja im Krieg, oder nicht?
Doch nichts dergleichen geschieht. Ich lasse den Motor an, und sie winken mich durch. Und wieder habe ich etwas erfahren. Engel betrachten Menschen nicht als Bedrohung. Was macht es schon, wenn es ein paar Affen durch die Zwischenräume im Zaun schaffen und am Fuß des Nests mit ihren Gokarts herumfahren. Wie schwer kann es schon sein, uns einen Dämpfer zu verpassen und die eindringenden Tiere in Schach zu halten?
»Wo sind wir?«, fragt Raffe aus den Schatten hinter mir.
»In der Hölle«, antworte ich. Ich fahre bei einer gleichbleibenden Geschwindigkeit von dreißig Stundenkilome tern. Ich könnte auch neunzig fahren, die Straßen sind voll kommen leer, doch ich will keine Aufmerksamkeit erregen.
»Wenn das deine Vorstellung von der Hölle ist, bist du sehr naiv. Halt nach einer Art Nachtklub Ausschau. Viel Licht, viele Frauen. Parke dort, aber nicht zu nah.«
Ich blicke mich in den gespenstisch verlassenen Straßen um. Ein paar Frauen, die verloren aussehen und so, als wäre ihnen im heulenden Wind San Franciscos bitterkalt, stolpern einen Gehweg entlang, einem Bestimmungsort entgegen, den nur sie kennen. Ich fahre weiter und lasse den Anblick der leeren Straßen auf mich wirken. Dann sehe ich ein paar Leute in einer Nebenstraße aus einem Gebäude treten.
Beim Näherkommen ist es eine Gruppe Frauen vor einem Nachtklub im Stil der Zwanzigerjahre. In ihren dün nen Partykleidchen müssen sie unsäglich frieren, doch sie stehen hoch aufgerichtet da und zeigen sich in ihrer ganzen Attraktivität. Die Eingangstür ist klassisches Art déco. Die Engel, die den Eingang bewachen, sind in leicht abgeänderte Smokings gekleidet, die am Rücken mit Schlitzen versehen sind, damit ihre Flügel Platz haben.
Ich parke das Auto ein paar Blocks hinter dem Klub. Die Schlüssel stecke ich in das Täschchen der Sonnenblende und lasse meine Stiefel im Fußraum auf der Beifahrerseite, damit ich sie gleich griffbereit habe, wenn ich sie brauchen sollte. Ich wünschte, ich könnte sie in meine paillettenbesetzte Clutch stopfen, doch da passen gerade mal eine winzig kleine Taschenlampe und ein Taschenmesser hinein.
Ich steige aus dem Auto aus, und auch Raffe kommt hinter mir herausgekrochen. Sobald ich im Freien stehe, bläst mir der Wind entgegen und peitscht mir das Haar wild ins Gesicht. Ich schlinge die Arme um mich und wünschte, ich hätte einen Mantel.
Raffe schnallt sich sein Schwert um die Taille. In seinem Smoking sieht er wie ein altmodischer Gentleman aus. »Tut mir leid, aber mein Jackett kann ich dir leider nicht anbieten. Wenn wir näher kommen, musst du so tun, als sei dir nicht kalt, damit sich niemand wundert, weshalb ich es nicht ausziehe und dir überlasse.«
Ich bezweifle, dass sich irgendjemand fragen wird, warum ein Engel einem Mädchen nicht sein Jackett anbietet, doch ich lasse es gut sein.
»Wieso ist es jetzt okay, wenn sie dich sehen?«
Er wirft mir einen müden Blick zu, als würde ich ihn wirklich auslaugen.
»Okay, okay.« Kapitulierend hebe
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