Angelfall: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
Smokings und langen Kleidern und mit vornehmen Akzenten. Ironischerweise blicken pummelige Cherubim von den Deckenfresken auf uns herab.
Auf einer Seite befindet sich ein langer, marmorner Tresen, hinter dem eigentlich ein paar Bedienstete stehen müssten, um uns zu fragen, wie lange wir zu bleiben ge denken. Jetzt ist er einfach nur eine leere Erinnerung daran, dass dieses Haus bis vor ein paar Monaten noch ein schickes Hotel war. Na ja, nicht ganz leer. Ein einsamer Diener steht da, der unter all dem Marmor und engelhaften Prunk sehr klein und menschlich aussieht.
Die Lobby ist mit kleinen lachenden und plaudernden Grüppchen gesprenkelt, die alle in Abendgarderobe gekleidet sind. Die meisten Frauen sind Menschen, nur ab und an durchschreitet ein weiblicher Engel das Foyer. Unter den Männern befinden sich teils Menschen, teils Engel, wobei der menschliche Teil der Dienerschaft angehört. Sie servieren Drinks, sammeln leere Gläser ein und nehmen die Mäntel der wenigen glücklichen Frauen entgegen, die einen haben.
Raffe zögert nur kurz, um sich die Szenerie anzusehen. Wir schlendern längs der Wand einen breiten Gang mit Marmorfußboden und Samttapeten entlang. Die Beleuchtung im Foyer und im Gang ist eher atmosphärisch als praktisch. Sie lässt einen großen Teil der Wände in weichem Schatten, ein Umstand, der Raffe sicher nicht entgeht. Wir schleichen nicht gerade durchs Gebäude, aber wir fallen sicherlich nicht besonders auf.
Leute strömen beständig durch eine mit Leder verkleidete und mit Messing verzierte Flügeltür. Wir wollen gerade dorthin, als drei Engel durch sie hindurchtreten. Sie haben ausladende und robuste Körper, jede anmutige Bewegung, jedes zufällige Anschwellen eines Muskels weist sie als Athleten aus. Nein, Athleten stimmt nicht ganz. Krieger ist das Wort, das mir durch den Kopf schießt.
Zwei von ihnen sind größer als die übrigen Anwesenden, ihre Köpfe und Schultern ragen aus der Menge heraus. Der dritte ist etwas kompakter, geschmeidiger und verglichen mit den beiden Bären wirkt er mehr wie ein Gepard. Alle drei tragen Schwerter an den Hüften, die beim Gehen hin und her schaukeln. Mir wird klar, dass sie abgesehen von Raffe die ersten Engel sind, die ich hier mit einem Schwert sehe.
Raffe neigt den Kopf zu mir herunter und schenkt mir ein Lächeln, als hätte ich gerade etwas Lustiges gesagt. Er beugt sich so nah zu mir herunter, dass ich denke, er wird mich gleich küssen. Stattdessen berührt seine Stirn meine.
Für die anderen sieht Raffe wie ein zärtlicher Mann aus. Doch sie können seine Augen nicht sehen. Trotz seines Lächelns liegt ein Ausdruck von Schmerz auf seinem Gesicht, die Art Schmerz, die man nicht mit Aspirin stillen kann. Als die Engel an uns vorbeikommen, dreht sich Raffe kaum merklich, sodass er weiterhin mit dem Rücken zu ihnen steht. Die drei lachen über etwas, das der Gepard gesagt hat. Raffe schließt die Augen und gibt sich einem bittersüßen Gefühl hin, das ich nicht mal ansatzweise verstehe.
Sein Gesicht ist so nah an meinem, dass sich unser Atem vermischt. Und doch ist er weit weg von mir, an einem Ort, wo ihn tiefe, grausame Gefühle beuteln. Was auch immer er fühlt, es ist sehr menschlich. Ich verspüre den starken Drang, ihn aus dieser Stimmung herauszuholen, ihn abzulenken.
Sanft lege ich meine Hand auf seine Wange. Sie ist warm und fühlt sich angenehm an. Vielleicht zu angenehm. Als sich seine Augen nicht öffnen, berühren meine Lippen zaghaft die seinen.
Zuerst reagiert er nicht, und ich ziehe schon in Erwägung, zurückzuweichen.
Dann wird sein Kuss hungrig.
Es ist weder der sanfte Kuss eines Paars bei seiner ersten Verabredung noch der Kuss eines Mannes, der von purer Lust getrieben wird. Er küsst mich mit der Verzweiflung eines Sterbenden, der glaubt, die Magie des ewigen Lebens liege in diesem einen Kuss. Die Wildheit, mit der er mich an der Taille und an den Schultern packt, der feste Druck seiner Lippen bringt mich völlig durcheinander. Meine Gedanken wirbeln ohne jede Kontrolle.
Schließlich lässt der Druck nach, und der Kuss wird sinnlich.
Eine kribbelnde Wärme schießt von der samtigen Berührung seiner Lippen und seiner Zunge direkt in die Mitte meines Körpers. Mein Körper verschmilzt mit seinem. Überdeutlich spüre ich seine harten Brustmuskeln an meinen Brüsten, den warmen Griff seiner Hände um meine Taille und meine Schultern und die Hitze unserer Münder.
Dann ist es vorbei.
Er weicht von mir
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