Angelfall: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
Zwanzigerjahre. Art-déco-Möbel, Männer in Smokings, Frauen in langen Kleidern.
Okay, die Kleider wirken nicht alle wie aus den Zwanzigern. Man sieht auch den ein oder anderen Siebzigerjahre-Look oder mal ein futuristisches Science-Fiction-Outfit. Es ist wie auf einer Kostümparty, auf der ein paar der Gäste nicht verstanden haben, wie ein Outfit aus den Zwanzigern aussehen sollte. Aber der Raum und die Möbel sind Art déco, und die meisten Engel tragen altmodische Fracks.
Golduhren, schillernde Seide und glitzernder Schmuck lassen den Raum funkeln. Die Engel dinieren, trinken, rauchen und lachen, und mittendrin tragen weiß behandschuhte Diener Tabletts mit Champagnergläsern und Hors d’œuvres unter den glitzernden Kronleuchtern durch die Menge. Die Musiker, die Diener und die meisten Frauen sehen wie Menschen aus.
Bei ihrem Anblick spüre ich eine unangemessene Welle des Abscheus in mir aufsteigen. Alles Verräter, genau wie ich. Nein, um fair zu sein: Was sie tun, ist nicht annähernd so schlimm wie das, was ich getan habe, als ich Obi Raffes Identität nicht enthüllt habe.
Ich will sie alle als geldgierige Opportunisten abtun, doch dann fallen mir die Frau, ihr Mann und die hungrigen Kinder wieder ein, die sich an den Zaun geklammert haben. Wahrscheinlich ist sie die einzige Hoffnung der Familie, etwas zu essen zu bekommen. Ich hoffe, sie hat es geschafft. Ich suche die Menge ab, in der Hoffnung, ihr Gesicht zu entdecken.
Stattdessen sehe ich Raffe.
In einer dunklen Ecke lehnt er lässig an einer Wand und beobachtet die Menge. Eine Brünette in einem schwarzen Kleid und mit so weißer Haut, dass sie wie ein Vampir aussieht, neigt sich aufreizend zu ihm rüber. Alles an ihr strahlt Sex aus.
Im Moment würde ich überallhin lieber gehen als zu Raffe. Aber ich habe eine Mission, und er spielt eine entscheidende Rolle darin. Ganz bestimmt verzichte ich nicht auf die Chance, Paige zu finden, nur weil ich mich in dieser Gesellschaft etwas unbehaglich fühle.
Ich wappne mich innerlich und gehe zu ihm hinüber.
Die Brünette legt ihm eine Hand auf die Brust und flüstert ihm Vertraulichkeiten zu. Er fixiert jedoch etwas am anderen Ende des Raums und scheint sie nicht zu hören. Er hat ein Glas mit einer bernsteinfarbenen Flüssigkeit in der Hand, das er in einem Schluck runterkippt. Dann stellt er das leere Glas neben ein paar anderen auf einem Tisch ab.
Er sieht mich nicht an, als ich mich neben ihn an die Wand lehne, doch ich weiß, dass er mich wahrnimmt, so wie er auch die junge Frau wahrnimmt, die mir gerade einen tödlichen Blick zuwirft. Als wäre ihre Botschaft nicht schon klar genug, hängt sie sich nun an Raffe.
Er nimmt sich einen Martini vom Tablett eines vorbeilaufenden Kellners, stürzt die Flüssigkeit auf Ex hinunter und schnappt sich noch ein Glas, bevor der Kellner wieder geht. In der kurzen Zeit, die ich gebraucht habe, um mich zusammenzunehmen und zu ihm zu kommen, hat er schon vier Gläser weggekippt. Entweder hat ihn irgendwas ziemlich aufgewühlt, oder er ist ein Alkoholiker, der nach langer Abstinenz wieder zur Flasche greift. Super. Das kann auch wieder nur mir passieren, dass ich mich mit einem Alkoholiker-Engel zusammentue.
Endlich wendet sich Raffe der Brünetten zu, die es ihm mit einem umwerfenden Lächeln dankt. In ihren Augen liegt ein so einladendes Glitzern, dass ich mich schon beim Zuschauen geniere.
»Geh und such dir jemand anderen«, sagt Raffe. Er klingt zerstreut, gleichgültig. Autsch. Obwohl sie mir diesen mörderischen Blick zugeworfen hat, verspüre ich einen Stich des Mitgefühls.
Andererseits hat er ihr nur gesagt, sie soll weggehen. Er hat nicht gesagt, dass er sie nicht mal mag.
Langsam zieht sie sich zurück, wie um ihm eine Chance zu geben, das Ganze als Scherz abzutun. Als er wieder dazu übergeht, Leute zu beobachten, wirft sie mir einen letzten vernichtenden Blick zu und geht.
Ich suche den Raum ab, um herauszufinden, was Raffe da so intensiv fixiert. Der Klub ist gemütlich und nicht so groß, wie ich ursprünglich dachte. Die ausgelassene Menge verleiht ihm die Energie eines größeren Raums, aber eigent lich ist es eher eine Lounge als ein moderner Klub. Mein Blick wird unwillkürlich von ein paar Typen angezogen, die wie auf einem Königsthron in einem Separee sitzen und sich gebärden, als wären sie lauter Auserwählte.
Es gibt nur wenige Gruppen, die sich so etwas erlauben können: Beliebte Highschool-Kids, die in der Mittagspause die
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