Angelfall: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
zurück und saugt die Luft ein, als würde er aus bewegten Gewässern auftauchen. In seinen tiefgründigen Augen wirbeln die Emotionen.
Er schließt die Augen vor meinem Blick und beruhigt seinen Atem, indem er die Luft kontrolliert ausstößt.
Als er die Augen wieder öffnet, sind sie eher schwarz als blau und vollkommen undurchdringlich.
Was ich gerade noch in ihnen gesehen habe, liegt nun so tief begraben, dass ich mich fragen muss, ob ich es nicht geträumt habe. Das Einzige, was darauf hindeutet, dass er überhaupt etwas fühlt, ist sein Atem, der schneller geht als normal.
»Du solltest wissen …«, setzt er an. Er flüstert so leise, dass ihn wahrscheinlich nicht mal die Engel über das allgemeine Stimmengemurmel im Korridor hinweg hören. »Ich mag dich nicht mal.«
Ich versteife mich in seinen Armen. Ich weiß nicht, was ich erwartet habe, aber das in jedem Fall nicht.
Ich bin mir ziemlich sicher, dass man mir meine Emotionen im Gegensatz zu ihm klar und deutlich vom Gesicht ablesen kann. Und jetzt habe ich eine dieser Empfindungen, die meine Wangen vor lauter Demütigung zum Glühen bringen.
Wie beiläufig entfernt er sich einen Schritt von mir, wendet sich um und drängt sich durch die Flügeltür.
Ich stehe im Korridor und schaue den Türen beim Vor- und Zurückschwingen zu, bis sie langsam zur Ruhe kommen.
Ein Paar tritt von der anderen Seite durch die Tür. Der Engel hat einen Arm um die Frau gelegt, die ein langes, silbernes, paillettenbesetztes Kleid trägt, das sich an ihren Körper schmiegt und bei jeder Bewegung funkelt. Er protzt mit einem violetten Anzug mit einem neonpinken Hemd, dessen breiter Kragen sich über seine Schultern legt. Beide starren mich an, als sie an mir vorbeigehen.
Wenn dich ein Mann in Violett und schreiendem Pink anstarrt, weißt du, dass es Zeit ist, etwas an deinem Erscheinungsbild zu ändern. Mein purpurrotes Kleid ist zwar ziemlich eng und kurz, aber es wirkt hier dennoch nicht deplatziert, also muss es mein fassungsloser und gedemütigter Gesichtsausdruck sein, der ihre Aufmerksamkeit erregt.
Ich setze eine neutrale Miene auf, wie ich hoffe, und zwinge meine Schultern, sich zu entspannen oder wenigstens so auszusehen.
Ich habe schon Jungs geküsst. Manchmal war es danach ein bisschen unangenehm, aber nie so wie jetzt. Ich habe Küssen immer als schön und erfreulich empfunden, so wie ein Lachen im Sommer oder den Duft von Rosen. Jetzt hingegen habe ich Raffe das Tier erlebt. Verglichen mit meinen anderen Küssen war das hier knieerweichend, magenumdrehend, aderkribbelnd und einfach eine totale Kernschmelze.
Ich atme ganz tief ein, halte den Atem an und atme dann langsam wieder aus.
Ich mag dich nicht mal.
Ich lasse den Gedanken in meinem Kopf herumrollen. Alles, was ich jetzt fühle, wird geradewegs in den Tresorraum mit der drei Meter dicken Tür verfrachtet, die sofort wieder zuschlägt, für den Fall, dass irgendetwas da drin die Absicht hat, hervorgekrochen zu kommen.
Selbst wenn er mich wollen würde, na und? Das Resultat wäre das Gleiche. Eine Sackgasse. Unsere Partnerschaft ist dabei, sich zu lösen. Sobald ich Paige gefunden habe, muss ich so schnell wie möglich hier raus. Und er muss seine Flügel wieder angenäht bekommen und sich dann um all die Schwierigkeiten mit seinen Feinden kümmern, welche auch immer das sein mögen. Und dann werden wir wieder an dem Punkt ankommen, an dem er und seine Kumpel meine Welt zerstören und ich mit meiner Familie ums Überleben kämpfe. So ist es nun mal. Kein Platz für Highschool-Fantasien.
Ich atme noch einmal tief ein und langsam wieder aus, um sicherzugehen, dass ich alle verbliebenen Gefühle unter Kontrolle habe. Paige zu finden ist alles, was zählt. Und um das zu bewerkstelligen, muss ich nur noch ein bisschen länger mit Raffe zusammenarbeiten.
Ich gehe zu den Schwingtüren und stoße sie auf, um ihn zu finden.
29
Sobald ich eintrete, füllt sich die Welt mit dem Sound von Jazz, Lachen und Geplauder, der sich zusammen mit einem Hitzeschwall und dem scharfen Geruch nach Zigarrenrauch und exquisitem Essen zu einem einzigen unbegreiflichen Empfindungs-Tsunami zusammenballt.
Ich werde das surreale Gefühl nicht los, in der Zeit zu rückversetzt worden zu sein. Draußen hungern obdachlose Menschen in einer Welt, die in Schutt und Asche gelegt wurde, und hier drinnen sind die guten Zeiten nie zu Ende gegangen. Gut, die Männer haben Flügel, aber ansonsten ist es genau wie in einem Klub der
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