Angelglass (German Edition)
ich leise.
»Wie?«
»Die unterschiedlichen Versionen. Peteys Version und Codys und Padraigs und Jennys. Aber nicht Karlas. Wieso?«
John sieht mich eine Weile an. »Weißt du was, Poutnik? Ich vertraue dir. Der Himmel weiß, wieso. Ich kenne dich noch nicht lange. In drei Tagen werde ich das wichtigste Erlebnis meines Lebens durchmachen. Und wenn ich dir alles erzähle, könnte das einiges durcheinanderbringen. Aber aus irgendeinem verrückten Grund habe ich das Gefühl, dir trauen zu können.«
»Dann erzähl’s mir.«
John zündet sich eine weitere Zigarette an. »In Ordnung. Willst du wissen, wieso ich Karla nicht erwähnt habe? Willst du wissen, wieso alle eine unterschiedliche Version von den kommenden Ereignissen haben?«
»Ja.«
»Sie ist eine Spionin. Karla arbeitet als Spionin für die Ölindustrie.«
»Sie ist was?!«, frage ich, obwohl ich John sehr genau verstanden habe.
»Eine Spionin. Für die Ölgesellschaften. Und deswegen kann ich auch niemandem erzählen, was genau sich in drei Tagen abspielen wird. Ich weiß nicht mehr, wem ich vertrauen kann.«
»Aber das ist doch …«
»Lächerlich? Das habe ich auch gedacht. Zu Beginn. Doch dann wurde ich misstrauisch. Irgendwas an ihr kam mir komisch vor. Also hab ich sie ein bisschen überprüft. Diese ganzen Zeitungen in England, für die sie zu arbeiten behauptet hat … Sie hatten noch nie von ihr gehört. Meine Theorie ist, dass sie von den Ölgesellschaften mit einer Tarngeschichte ausgestattet und dann bei der
Prague Gazette
untergebracht wurde. Wahrscheinlich haben sie dem Besitzer ein Vermögen bezahlt, um sie dort einzuschleusen. Gott wer weiß, vielleicht ist ja der Besitzer auch ein Aktionär von Exxon. Eine klassische Undercovergeschichte.«
»Aber Cody …«
»Cody vögelt mit Karla«, faucht John. »Ich hab ihm tausend Mal befohlen, sich nicht einzumischen. Man nimmt sich keine Geliebte, wenn man mitten im Kampf steht. Eine Grundregel. Und deshalb wird er vor dem 15. November auch nichts erfahren. Niemand wird etwas erfahren. Aber komm, lass uns jetzt gehen, bevor alle im Haus wach werden.«
»Was wird denn jetzt geschehen?«, frage ich, als wir über die Karlsbrücke zurücklaufen.
John lacht. »Ich vertraue dir, Poutnik. Aber so sehr nun auch wieder nicht.«
Das
Leopold Bloom
ist voll von Leuten, die nach Prag gekommen sind, um an den N15-Protesten teilzunehmen. Noel ist davon nicht allzu begeistert. »Ich hoffe, diese verdammten Freaks hocken hier nicht den ganzen Tag rum und nuckeln bloß an einem einzigen Bier«, schimpft er.
Padraig steht hinter der Bar und wirkt heute sehr wortkarg. Als ich ein Tablett mit leeren Gläsern zum Tresen bringe, versuche ich, ein Gespräch anzufangen, doch er grunzt mich nur missmutig an. Wie die anderen schon erzählt haben, hat er manchmal seine dunklen Momente, in denen er anscheinend über die Erlebnisse seiner Vergangenheit brütet. Vielleicht hat auch die bevorstehende Protestaktion schlechte Erinnerungen in ihm wachgerufen.
Als wir uns beide draußen vor dem Pub an die Wand lehnen, um eine zehnminütige Pause einzulegen, beschließe ich, das Schweigen zu brechen. »Padraig, was ist denn los? Was ist zu Hause passiert?«
»Hat jemand gesagt, dass irgendwas passiert ist?«, erwidert er und sieht mich an.
»Manchmal bist du einfach nicht du selbst. Da hab ich halt zwei und zwei zusammengezählt …«
»Deine Gleichung ist Käse«, faucht er und schaut weg. Eine Minute stehen wir schweigend da, dann sieht er mich wieder an. »Tut mir leid, Pooty. Das hast du nicht verdient. Hör zu, damals im Norden ist was Schreckliches geschehen. Bevor die Truppen abgezogen wurden, ist in Derry ’ne Menge Scheiße passiert. Zwei britische Soldaten sind gestorben. Deswegen bin ich auch ursprünglich nach Prag gekommen. Ich red bloß nicht gern so viel darüber, okay?«
»Klar«, sage ich. Doch ich bin erstaunt, dass ein Mann, der so sehr von den Dämonen des Todes verfolgt wird, bereit ist, weitere Unschuldige ins Verderben zu stürzen. Oder sind meine Vermutungen falsch? Wie genau lautet die »Version der Ereignisse«, die John für Padraig bereithält?
»Freust du dich auf den 15. November?«, frage ich und versuche, das Thema zu wechseln.
Padraig nickt. »Ja, aber um ehrlich zu sein, bin ich etwas nervös. Wir planen diese Aktion schon seit über einem Jahr. Ich kann kaum glauben, dass es nur noch ein paar Tage bis dahin sind. Gott, ich hoffe wirklich, das alles gut geht.«
»Was sollte
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