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Angelglass (German Edition)

Angelglass (German Edition)

Titel: Angelglass (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Barnett
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glänzt in der untergehenden Sonne. »Ihr seid hergekommen, um dem Trubel zu entgehen, hä?«
    Ich nicke. »Und um zuzusehen.«
    Brahe tritt neben mir auf den Balkon und blickt mit zusammengekniffenen Augen in die Dämmerung. Die Feuerwände bewegen sich immer näher auf das Ufer der Moldau zu. »Es scheint, als käme der Golem hierher«, konstatiert er. »Zum Schloss. Eben noch hieß es, die Truppen hätten das Monster aus den Augen verloren. Sie haben die Karlsbrücke mit Kanonen und Lanzenträgern verbarrikadiert, aber der Golem ist nordwärts gezogen. Es gibt unzählige Furten und kleine Brücken, die er überqueren könnte.«
    »Vielleicht solltet Ihr fliehen?«, schlage ich vor.
    Brahe schüttelt den Kopf. »Alle Wissenschaftler und Alchemisten des Kaisers suchen fieberhaft nach einem Weg, um den Golem zu zerstören. Doch ich fürchte, die Lösung kennt nur derjenige, der ihn erschaffen hat.«
    »Rabbi Löw«, erwidere ich. »Er hat diese Kreatur erschaffen, um die Juden zu beschützen. Doch dadurch wird vielleicht die ganze Stadt zerstört.«
    »Ich habe den ganzen Tag in der Bibliothek gesessen und über den Golem gelesen«, sagt Brahe zustimmend. »Er ist eine unaufhaltsame Kraft, eine Furie, ein Rachegott. Wenn seine Mission darin besteht, alle zu töten, die jemals schlecht von den Juden gedacht haben, dann wird von Prag nicht viel übrig bleiben, wenn er fertig ist. Der Golem ist die rächende Flamme der Wahrheit, sagen die Bücher.«
    »Wohl eher des Todes.«
    »Wie eigenartig, dass Ihr das sagt«, erwidert Brahe gedankenverloren. »Ich habe dieses Wort nachgeschlagen, das der Rabbi in die Stirn des Monsters geritzt hat. Emet. In der Tat bedeutet es Wahrheit. Doch ich habe auch gelesen, dass es im Hebräischen ein ähnliches Wort gibt – met. Und das bedeutet Tod. Vielleicht liegen Wahrheit und Tod näher beieinander, als es uns bewusst ist, hä, Meister Poutnik?«
    »Interessant, Meister Brahe.«
    »Zugegeben. Doch abgesehen von der Entdeckung interessanter Trivialitäten, bin ich der Lösung kein Stückchen näher gekommen.«
    »Was haben Eure Gesetze der Planetenbewegung in dieser Hinsicht zu sagen?«
    Brahe gibt ein betrübtes Lachen von sich. »Ich fürchte, in dieser Situation sind sie kaum von Nutzen. Sie zeigen lediglich an, dass alle Himmelskörper um ein Zentrum kreisen.«
    Ich blicke ihn fragend an.
    »Rudolf«, fährt er fort. »Er ist das Zentrum unseres Universums, die Figur, um die wir alle kreisen. So wie die Sonne die Planeten anzieht, zieht er Wanderer aus allen Winkeln der Welt an seinen Hof. Und ab und zu kann es passieren, dass eine zerstörerische Kraft an der Erde vorbeizieht, von der Gravitationskraft angezogen wird und das Leben bedroht. Der Golem ist solch eine Kraft.«
    »Und ich, Meister Brahe? Wie passe ich in Eure Gleichung?«
    Brahe zuckt mit den Schultern. »Ihr ähnelt einem Kometen, Meister Poutnik. Ihr werdet vom Zentrum angezogen und setzt dennoch Euren Weg fort. Eure Reise wird hier nicht enden, vermute ich.«
    Die Glocken des Veitsdoms schlagen vier Uhr. Um fünf bin ich zu einer weiteren endlosen Konferenz bei Rudolf verabredet. Den ganzen Tag hat er Ratschläge entgegengenommen, ist jedoch mit der Bekämpfung des Golems keinen Schritt weitergekommen. Nach dieser Konferenz werde ich Percy Tremayne zu seiner heimlichen Verabredung mit Carlo Fantom folgen. Vor ein paar Stunden habe ich gehört, wie er Sir Anthony erzählte, er fühle sich nicht wohl und werde sich voraussichtlich gegen sieben Uhr zurückziehen. Genau um diese Zeit hat er geplant sich wegzuschleichen, um Fantom zu treffen. Und ich werde direkt hinter ihm sein.
    Nachdem ich mich von Brahe verabschiedet habe, gehe ich zurück in mein Quartier, um mich vor der erneuten Zusammenkunft in der großen Halle noch etwas auszuruhen. Dort treffe ich auf Hannah. Sie ist in einen langen Mantel gekleidet.
    »Hallo«, sagt sie und lächelt mich an. »Bist du überrascht, mich zu sehen?«
    »Hannah, du solltest nicht durch die Straßen laufen«, schelte ich sie. »Mit dieser herumwütenden Kreatur ist es dort überhaupt nicht sicher.«
    Sie setzt sich auf mein schmales Bett und gießt sich einen Becher Wein aus einem Krug ein, den sie anscheinend mitgebracht hat. »Ich habe versucht, dich zu warnen, Poutnik. Du hättest dem Golem keinen Befehl erteilen dürfen.«
    Ich schlage mit der Faust aufs Bett. Hannah erschrickt. »Aber ja doch! Natürlich kann ich den Golem kommandieren! Ich muss ihn nur finden und ihm

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