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Angelglass (German Edition)

Angelglass (German Edition)

Titel: Angelglass (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Barnett
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außerhalb von Zeit und Raum stehe, habe ich das Gefühl, hierher zu gehören. Poutnik, so nennen sie mich. Der Wanderer. Der Pilger. Immer unterwegs, doch ohne Ziel, ohne Anlegeplatz, ohne Stempel im Pass.
    Ich erwache von einem dumpfen, beharrlichen Rhythmus. Wie ein Herzschlag oder der Gleichschritt von Pferdehufen auf einer grasbewachsenen Ebene. Hinter den Vorhängen steht die Sonne tief und rot. Noch immer mit Karlas T-Shirt und Shorts bekleidet stehe ich auf und öffne die Tür, die aus dem Zimmer des mysteriösen John hinausführt. Der Flur draußen ist dunkel, der Rhythmus wird lauter. Das Quietschen eines Bettes. Aus dem gegenüberliegenden Zimmer. ›Unser‹ Zimmer. Näher an der Tür höre ich undeutliche Worte, Keuchen, Stöhnen. Auch dies kenne ich, kann es benennen. Ich ziehe mich in mein Zimmer zurück und schließe leise die Tür.
    Ich warte, weil ich nicht weiß, was ich sonst machen soll. Ich beobachte die sinkende Sonne, betrachte die Türme und Kirchen von Prag. Ich warte, bis ich plötzlich ein munteres Pochen an der Tür höre. Eine Stimme fragt: »Poot? Bist du wach?«
    Ich öffne die Tür für Padraig, der eine karierte Schürze trägt und sich die Hände an einem Geschirrtuch trocknet. »Es gibt Abendessen«, sagt er lächelnd. »In zehn Minuten decke ich den Tisch. In Ordnung?«
    Wortlos nicke ich und blicke an meinen zerknautschten Shorts und meinem T-Shirt hinunter. Padraig runzelt die Stirn. »Abendgarderobe ist zwar nicht vorgesehen, aber du möchtest dir bestimmt was anderes anziehen. Moment mal, ich glaube, wir haben dieselbe Größe. Warte, dann hol ich dir ’ne Jeans und ein Hemd.«
    Er dreht sich um und tänzelt durch den Flur, wobei er an die Tür zu Karlas und Codys Zimmer hämmert. »Hallo, ihr beiden! Abendessen in zehn Minuten! Kommt nicht zu spät!«
    Er sieht sich zu mir um, zieht eine Augenbraue hoch und deutet mit dem Kopf in Richtung ihrer Tür, so als wollte er fragen
Wie findest du sie?
, und verschwindet schließlich wieder über die dunkle Treppe nach unten.
    Während ich darauf warte, dass Padraig mit den Klamotten zurückkommt, sitze ich bei geöffneter Tür auf meinem … oder eher Johns Bett und frage mich, was für ein Mensch er wohl ist. Er reist, haben sie gesagt, quer durch die Weltgeschichte. Was soll das heißen? Stiefelt er durch fremde Länder, bahnt er sich mit seinem Gepäck einen Weg durch Gebüsch und Gummibäume und kämpft sich durch das Unterholz? Vielleicht reist er ja zu Pferd … oder in einem Flugzeug … oder Bus. Oder auf den Schwingen des blassen kalten Sonnenscheins, so wie … wie … Ich bin kurz davor, mich an irgendwas oder irgendwen zu erinnern, doch der Gedanke verschwindet angesichts eines höflichen Räusperns in der geöffneten Tür. Es ist Padraig.
    Er kommt herein und legt einen Haufen Klamotten auf das Bett neben mir. »Die dürften dir passen«, sagt er. »Nicht gerade Armani, aber fürs Erste wird’s reichen.«
    Ich bedanke mich bei Padraig. Als er wieder gehen will, frage ich: »Was ist dieser John eigentlich für ein Typ?«
    In der Türöffnung stehend, sieht Padraig mich für einen langen Moment an. Ein Ausdruck des Misstrauens, oder vielleicht der Vorsicht, blitzt kurz in seinen Augen auf. »John ist John«, sagt er schließlich und zuckt mit den Schultern. »Vielmehr gibt’s dazu nicht zu sagen. Falls du noch da bist, wenn er zurückkommt, findest du das schon selbst raus.«
    Er wendet sich ab, um zu gehen, dreht sich aber noch einmal um. »Tief in seinem Innern ist er ein guter Kerl, Pooty. Du wirst vielleicht so einiges über ihn hören, aber er ist ein guter Kerl. Also nun, Abendessen in fünf Minuten, okay? Ich darf mich nicht zu sehr verspäten. Ich muss nämlich heute Abend arbeiten. Bis gleich.«
    Die Klamotten – eine Jeans, ein mit einem verblassten Budvar-Schriftzug bedrucktes T-Shirt, Socken, Unterhosen und ein Paar ausgelatschte Turnschuhe – sind praktisch und bequem. Das überrascht mich, denn der Vorgang des Ankleidens kommt mir grundsätzlich … seltsam vor. Doch die Sachen geben mir ein Gefühl der Zugehörigkeit, der Sesshaftigkeit. Nachdem ich mich einen langen Augenblick im verstaubten Spiegel angesehen habe, gehe ich leise aus dem Zimmer und steige die Treppen hinunter.
    Das Esszimmer liegt im hinteren Teil des Hauses. Die geschlossenen Fensterläden lassen durch ihre Schlitze ein wenig von der Straßenbeleuchtung herein. Alle sitzen um einen großen dunklen Tisch herum, der vom Schein

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