Angelglass (German Edition)
sich hinter ihm auf, als er schnellen Schrittes über die Pulverbrücke läuft, die den Hirschgraben überspannt und zu den Kräutergärten führt.
»Die Königlichen Gärten sind ein Wunderwerk Prags, Findling«, sagt Lang und führt mich über die Kieswege tiefer in die Lauben hinein. »Sie wurden von unserem Hofgärtner Francesco angelegt, damit wir das ganze Jahr lang Farben und Düfte genießen können. Wir bauen hier Feigen und Zitronen an, und im Frühling sieht man Tulpen, so weit das Auge reicht.«
Lang verlangsamt seine Schritte und bleibt stehen, um an einer Rose zu riechen. »Sie ist schön und göttlich, so wie das Kaiserreich selbst.«
Er streckt sich und hält einen Augenblick inne, so als wolle er all die ihn umgebende Schönheit in sich aufsaugen. Dann dreht er sich stirnrunzelnd zu mir. »Findling«, sagt er gedehnt. »Ich traue Euch nicht.«
Mir wird plötzlich klar, dass ich mich in diesem dunklen Garten ganz allein mit Lang befinde, einem Mann, den selbst der Respekt einflößende Sir Anthony für gefährlich hält. »Es gibt keinen Grund, einem Mann ohne Gedächtnis zu misstrauen«, erwidere ich.
Lang denkt einen Moment nach. »Findling, irgendwie habt Ihr Euch das Vertrauen des Kaisers erschlichen. Überaus praktisch für Sir Anthonys Absichten, findet Ihr nicht?«
»Ich bin Sir Anthony gestern zum ersten Mal begegnet, Kammerherr.«
»Was Ihr nicht sagt. Aber Eure Geschichte kommt mir recht sonderbar vor, Findling. Wir befinden uns in schwierigen Zeiten, und der Kaiser ist kein … gesunder Mann. Er ist das Oberhaupt dieses großartigen Kaiserreichs, und als sein Kammerherr ist es meine heilige Pflicht, in seinem – und dem Interesse des Kaiserreichs – zu agieren.« Er lächelt; ein wenig überzeugender und halbherziger Versuch der Freundschaftsbekundung. »Betrachtet es aus meinem Blickwinkel, Poutnik. Das Haus Habsburg ist eines der einflussreichsten in Europa. Es gibt allerdings gewisse Parteien innerhalb des Hauses, die mit Rudolfs Position als Herrscher nicht gänzlich … einverstanden sind. Dann sind da all diejenigen, die ihn in seinen eigenen Mauern zu betrügen versuchen. Und dabei haben wir noch gar nicht von den Türken gesprochen, oder von den katholischen Gruppierungen, die mit seiner Annäherung an den Protestantismus hadern, oder von den Juden im Getto, oder von der kapriziösen Elisabeth in London. Nur über meine Leiche werde ich es zulassen, dass dem Kaiserreich Schaden widerfährt, Findling. Und werde alle töten, die einen solchen Versuch unternehmen.«
In den Königlichen Gärten ist es völlig still, während mich Lang mit seinen undurchdringlichen Falkenaugen anstarrt. Plötzlich jedoch wird die Stille von einem schrecklichen Brüllen durchschnitten, das beinahe die Blätter von den Bäumen zu reißen scheint und mich zum Schwanken bringt.
Lang ist von meinem alarmierten Gesichtsausdruck amüsiert. »Ah. Fütterungszeit. Kommt, Findling. Das wird vermutlich lehrreich für Euch sein.«
Lang läuft ein Stück weiter durch die Gärten, bis sie sich zu einer von hohen Mauern umgebenen Lichtung öffnen, in deren Mitte sich eine große, in den Boden eingelassene Koppel befindet, die auf allen Seiten von kräftigen Gitterstäben umgeben ist. Das ohrenbetäubende Brüllen ertönt ein weiteres Mal. Völlig entgeistert starre ich auf die Kreatur, die in der Mitte des Käfigs umhertappt.
»Der Löwe des Kaisers«, sagt Lang stolz. Das Biest ist riesig, seine Muskeln und Sehnen winden und spannen sich unter dem goldenen Fell. Seine Pranken sind groß wie Teller und seine glänzende Mähne umrahmt ein mit hellen weißen Zähnen bewehrtes Maul. Als es uns erblickt, stößt es ein weiteres tiefes Brüllen aus, das meine Knochen erzittern lässt.
»Er ist hungrig«, erklärt Lang, und plötzlich spüre ich seine krallenartige Hand auf meiner Schulter.
»Kommt näher, Findling. Seht ihn Euch an«, sagt Lang mit Nachdruck und schiebt mich dicht an die Gitterstäbe heran. Der Löwe tappt ein paar Schritte näher, nimmt Witterung auf und sieht mich neugierig und drohend an.
»Prachtvoll, nicht wahr? Der König aller wilden Raubtiere. Es gibt eine Prophezeiung, die besagt, dass Rudolf nur dann sterben wird, wenn dieser Löwe nicht mehr lebt«, flüstert mir Lang ins Ohr und verstärkt dabei den Griff um meine Schulter. »Seht Euch diesen Löwen an, Findling. Sieht er vielleicht so aus, als ob er bald sterben könnte? Glaubt Ihr, Ihr könntet ihn mit bloßen Händen töten?
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