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Angelglass (German Edition)

Angelglass (German Edition)

Titel: Angelglass (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Barnett
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ein Stück Kreide aus seinem Gewand und zeichnet etwas auf den Boden vor dem Thron. Mein Interesse ist geweckt, als ich die Kreise und Linien wiedererkenne, die ich bereits auf dem Siegel auf Jakobs Brief gesehen habe.
    »Der Baum des Lebens, der Baum der Sephiroth«, verkündet Löw. »Er wächst nach unten, hat seine Wurzeln im Himmel und breitet sich in den Vier Welten aus. Diese sind das Herz der Kabbala.«
    »Vier Welten?«, fragt Rudolf.
    »Vier Welten«, antwortet der Rabbi. »Der Baum wurzelt in Ain Soph, dem Nichts.«
    Die Stadt ist ein Paradoxon; sie ist endlos und dennoch an allen Punkten von einem dunklen, schwarzen Nichts begrenzt.
    Schlagartig erwache ich aus der Schläfrigkeit, die mich zu überkommen drohte. Die Worte, die an die Oberfläche meines Bewusstseins gedrungen sind, verblassen so schnell, wie sie gekommen sind.
    »Der Baum wächst von Ain Soph durch die Vier Welten, die vier Stadien der Spiritualität, bis er Assiah erreicht hat, die Vierte Welt oder unsere materielle Ebene.«
    Rudolf nickt. »Fahrt fort.«
    »Auf dem Baum des Lebens gibt es zehn Sephirot, die alle von spirituellen Wesen regiert und beschützt werden. Ihr könntet sie vielleicht Engel nennen.
    Die Sephira, die unserer Welt entspricht, wird Malkuth genannt und von Cherubim regiert. Darüber liegt Jesod, was dem Tal des Mondes entspricht und von Ishim regiert wird.
    Oberhalb von Jesod befindet sich die Pracht des Kosmos, Hod, wo die Bene Elohim herrschen.
    Jede Sephira nähert sich schrittweise dem ultimativen Ziel der Schöpfung. Über Hod liegt die Ebene des Sieges, Nezach, die vom Erzengel Haniel regiert wird. Dort enden vielleicht die Soldaten des Kaisers nach ihrem Tod, hmm?«
    »Was könnte denn den Sieg noch überragen?«, wundert sich Rudolf. »Viele betrachten ihn als das höchste Gut.«
    Der Rabbi kichert. »Schönheit, Exzellenz. Das Reich Tifereth, das schreckliche Angesicht der Sonne. Hier regiert der Erzengel Michael.«
    Ich weiß nicht, ob Rudolf die Ausführungen des Rabbis versteht, mich jedoch treffen sie mit der Wucht eines Vorschlaghammers.
    »Über Tifereth liegt Geburah, das von den Seraphim beherrscht wird, deren Vergeltung schnell und gewaltig ausfällt. Die nächste Stufe ist Chesed, die Gnade. Denn Gnade ist göttlicher als Gerechtigkeit. Und Chesed ist das Reich …«
    Chasmalim.
    »… der Chasmalim. Und nach Chesed kommt der Abgrund. Manche sagen, dass der Mensch, egal wie mächtig oder göttlich er auch sein mag, den Abgrund nicht überschreiten und den höchsten Punkt des Lebensbaums nie erreichen kann.«
    »Ich werde ihn überschreiten«, versichert Rudolf. »Gibt es keinen bekannten Weg?«
    »Die Brücke von Daat«, sagt der Rabbi leise. »Daat ist die Erkenntnis.«
    »Dann werde ich Erkenntnis finden«, grölt Rudolf. »Mehr, Rabbi! Mehr!«
    »Die erste Sephira über dem Abgrund ist …«
    »Binah«, murmele ich, ohne dass mich die beiden hören.
    »… Binah«, sagt der Rabbi. »Dies ist die Ebene des Verstehens und wird von Aralim regiert.
    Und nach dem Verstehen kommt Weisheit. Das Reich Chokmah, die letzte Sephira vor dem ultimativen Ziel der Schöpfung. Es untersteht …«
    »Raziel«, sage ich.
    Der Rabbi und Rudolf drehen sich zu mir um. »Hast du etwas gesagt, Spiegel von Prag?«
    Ich bin von den Worten des Rabbis völlig gebannt. »Chokmah ist das Reich von Raziel«, sage ich zögernd.
    »Unmöglich!«, ruft Rudolf.
    »Faszinierend«, sagt Löw. »Und weiß der vom Himmel gefallene Findling, was nach Chokmah kommt?«
    Die Worte kommen unaufgefordert. Bilder einer glänzenden, silbernen Stadt erscheinen am Rande meines Gesichtsfelds und nehmen dann an Deutlichkeit zu, bis ich kaum mehr etwas anderes sehen kann.
    »Kether«, stoße ich atemlos hervor. »Die oberste Sephira, die Wurzel des Lebensbaums. Das Primum Mobile, die erste Bewegung, die alles erschaffen hat …«
    »Und wer herrscht über Kether?«, fragt der Rabbi mit Nachdruck, während Rudolf völlig erstaunt ist. »Wessen Reich …?«
    »Metatron!«, schreie ich. »Metatron! Nein, Metatron, nicht. Alles, nur das nicht …«
    Dann falle ich in eine gnädige Ohnmacht.
    Als ich wieder erwache, drückt mir Rabbi Löw ein kaltes, feuchtes Tuch auf die Stirn. Rudolf blickt ernst von seinem Thron herab. »Was ist geschehen?«, frage ich.
    »Woran erinnert Ihr Euch?«, entgegnet der Rabbi mit sanfter Stimme.
    »Ich … ich erinnere mich, dass Ihr etwas auf den Boden gezeichnet habt, weiter nichts.«
    Rudolf schaut zum Rabbi

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