Angelglass (German Edition)
korrigieren; ein armer Narr ist Jeppe, kein Schurke und kein Schuft. Im Garten ging er nicht spazieren; Sprecht, Meister Poutnik, bewahrt mich vor der Gruft …«
»Ich habe Schellen gehört …«, sage ich zögernd. Aber auch noch etwas anderes. Das unverkennbare Flattern eines schwarzen Mantels.
»Mord ist nicht das Einzige, was der Zwerg im Sinn hat«, sagt Lang und geht auf den Narren zu. Jeppe zuckt zusammen, als Lang seine Hand nach ihm ausstreckt. Mit Sicherheit kann ich nicht der Einzige sein, der Langs Taschenspielertrick durchschaut, mit dem er es so aussehen lässt, als ziehe er etwas aus Jeppes Wams. Mit einem feinen Grinsen auf dem Gesicht hält er einen Gegenstand in die Höhe.
»Mein Skarabäus!«, ruft Rudolf. Bei näherer Betrachtung entpuppt sich das Objekt als silbriger, von Bernstein umschlossener Käfer, der an einem dünnen Lederband befestigt ist. Der Gegenstand also, den der Kaiser gestern in seiner Kunstkammer nicht finden konnte.
»Ein Mörder und ein Dieb«, sagt Lang. »Was hast du zu deiner Verteidigung zu sagen, Jeppe?«
»Kaiser, Kammerherr, Spiegel von Prag«, jammert der Zwerg. »Ich … ich … bitte! Exzellenz! Ich bin unschuldig!«
Als die Wächter ihren Griff um Jeppes Arme verstärken, blickt ihn Lang kalt lächelnd an. »Gehen dir die Verse aus, Narr? Ein sicheres Zeichen der Schuld. Wie lautet Euer Urteil, Exzellenz?«
»Eure Exzellenz«, mische ich mich ein. Alle sehen mich an; in den Augen des Zwergs keimt Hoffnung auf. »Ich habe keinen Beweis dafür, dass Jeppe mich in den Königlichen Gärten angegriffen hat.« Ich sehe Lang unverblümt an, doch er runzelt nur die Stirn.
»Traut Ihr etwa Euren eigenen Augen nicht? Er hat so gut wie gestanden.«
Jeppe schüttelt den Kopf und wendet den Blick nicht von mir ab.
»Wohl kaum …«, erwidere ich, doch Rudolf winkt ab.
»Genug«, sagt er. »Es kann nur eine Strafe geben.«
»Das Fenster, Exzellenz?«, fragt Lang.
Jeppe schüttelt wie wild den Kopf. Rudolf nickt kaum merklich, dreht den Skarabäus hin und her und beobachtet, wie das Licht im Bernstein gebrochen wird. »Das Fenster«, bestätigt er leise und geht auf die Wendeltreppe zu.
Jeppe findet endlich seine Stimme wieder und stößt einen schrecklichen, markerschütternden Schrei aus. Wie ein Kind. Auf ein Zeichen von Lang heben die beiden Wächter den Narren hoch.
»Unser letzter Fenstersturz ist schon eine ganze Weile her«, sagt Lang mit einem Lächeln.
Jeppe spuckt und tritt nach den Wächtern, doch sie halten ihn fest, tragen ihn ohne Umschweife zum Fenster und stoßen ihn unbeholfen hinaus. Wie erstarrt stehe ich da und sehe zu. Lang lehnt sich aus dem Fenster, um Jeppes Absturz zu verfolgen. Nach einem langen Moment ist von unten ein dumpfer Aufschlag zu hören.
Rudolf ist bereits ein Stück die Treppe hinuntergelaufen. Die Wächter folgen ihm und grinsen sich an. Als sie außer Sichtweite sind, geht Lang an mir vorbei, bleibt aber kurz stehen, um mich anzusehen. »Ihr solltet Euch jetzt viel … sicherer fühlen, Spiegel von Prag«, zischt er, folgt dann den anderen und lässt mich in der kahlen Turmkammer zurück. Ratlos trete ich ans Fenster und blicke hinaus. Ganz weit unten verschandelt ein rot-grüner Fleck die Schönheit des Hirschgrabens.
Als ich zum Hirschgraben komme, sind die sterblichen Überreste von Jeppe bereits entfernt worden, und nur eine kleine Delle im Boden zeugt noch von der brutalen Rechtsprechung durch Rudolf und Lang. Ich entscheide mich für einen Spaziergang durch den Hirschgraben, um die schrecklichen Bilder aus meinem Kopf zu bekommen. Hier im Hirschgraben gibt es viel mehr Wildwuchs und Bäume als in den benachbarten Königlichen Gärten, und wie der Name schon verrät, bewegen sich Hirsche und andere Wildtiere völlig frei in diesem von Mauern umgebenen Areal. Ich wähle einen Pfad, der über eine stark bewachsene Wiese führt, und bleibe plötzlich stehen, als ich ein Stückchen vor mir jemanden schimpfen höre. Nach ein paar Schritten stoße ich auf den Ursprung der Flüche: Sir Anthony Sherley.
Der Söldner hält eine Hakenbüchse in der linken Hand, seine rechte zittert heftig. »Bei den Wundmalen Christi!«, faucht er verbittert. »Ah, Meister Poutnik. Wie geht es?«
Ohne meine Antwort abzuwarten, macht sich Sir Anthony an die Untersuchung des Luntenschlosses. »Hab mir schon wieder die Finger an der Kohle verbrannt«, murmelt er.
»Wie funktioniert dieses Gerät?«, frage ich und sehe eine Gelegenheit, die
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