Angelglass (German Edition)
Brutalität zu vergessen, die ich eben erlebt habe.
»Furchtbar langsam und umständlich«, erwidert Sir Anthony. »Für den Nahkampf ziehe ich kalten Stahl vor, und für die Entfernung ist der Bogen das Beste, aber Percy hat sich in die Hakenbüchse verliebt. Ein paar unserer Männer haben sich auf ihren Gebrauch spezialisiert, aber mein Hauptmann ist der Ansicht, dass wir alle diese Waffe meistern sollten. Seht her.«
Sir Anthony deutet auf ein kleines Metallkästchen, das mit heißen Kohlen gefüllt ist, auf die er nun bläst, um sie erglühen zu lassen. »Diese Lunte hier wird von den Kohlen entzündet, und die Zündpfanne muss immer gleich viel Pulver enthalten. Und wenn man erst einmal gefeuert hat, muss man eine neue Kugel in den Lauf schieben. Ich habe den ganzen Morgen daran geübt.«
Sir Anthony zeigt auf den Ast eines Baumes, auf den er drei aus der Schlossküche stammende Kannen gestellt hat. Anscheinend hat er bisher noch keine davon getroffen.
»Habt Ihr gehört, was mit Jeppe, dem Zwerg, geschehen ist?«, frage ich.
Sir Anthony nickt. »Der arme Kerl hätte mich bei seinem Absturz fast erwischt. Ich glaube, sie haben seine Leiche gerade zum Löwenkäfig gebracht.«
»Er hat gestern versucht mich umzubringen.«
»Davon habe ich gehört«, sagt Sir Anthony und schielt in den Lauf seiner Hakenbüchse. »Glaubt Ihr, dass es so war?«
»Ihr etwa nicht?«
Sir Anthony reibt sich den Bart. »Ich habe den Stein gesehen, der von dem Holzgerüst gestoßen wurde; für einen Mann seiner Größe hätte es großer Anstrengung bedurft, um ihn auch nur einen Zentimeter zu bewegen.«
»Das habe ich schon befürchtet«, sage ich missmutig. »Ich glaube, Lang steckt dahinter.«
Sir Anthony nickt. »Ich habe Euch vor ihm gewarnt, Meister Poutnik. Ich werde versuchen, Euch, so gut es geht, im Auge zu behalten, aber es ist vielleicht ratsam, sich nicht am Fenster aufzuhalten, wenn er in der Nähe ist.«
Sir Anthony hält die Lunte an die heißen Kohlen. »Achtung!«, brüllt er. »Hier kommt ein Schuss. Achtet auf die blaue Kanne in der Mitte.«
Er hält die Büchse an seine Schulter gedrückt, kneift die Augen zusammen und betätigt den Abzug, wodurch die Lunte mit der Zündpfanne in Berührung kommt. Ein lautes Krachen folgt, das eine Schar Raben schimpfend von den Bäumen aufflattern lässt. Sir Anthony wird heftig zurückgestoßen und verliert für einen Augenblick das Gleichgewicht. Hustend blicke ich durch den Qualm zu dem Ast. Alle drei Kannen stehen noch unversehrt da.
»Verflucht!«, sagt Sir Anthony.
Eine Sekunde später hören wir einen dumpfen Aufschlag, und Sir Anthony stürzt in die Richtung seines Schussziels davon. Als ich ihn eingeholt habe, steht er da und starrt auf den toten Körper eines muskulösen Hirsches mit eindrucksvollem Geweih.
Ich kann meine Erheiterung nicht verbergen, und selbst Sir Anthony setzt ein breites Grinsen auf. »Ich lasse ihn in die Küche bringen. Ein Leckerbissen für meine Männer, und viel besser als der Fraß, den sie uns hier vorsetzen.«
»Wie steht es um Eure Mission, Sir Anthony?«
»Schlecht«, seufzt er und beugt sich hinunter, um das Tier zu untersuchen. »Rudolf ist ein dickköpfiger alter Bastard. Er weigert sich, Truppen für den Kampf gegen die Türken bereitzustellen. Es wäre wirklich höchst bedauernswert, wenn wir nach England zurückkehren müssten, ohne unsere Mission vollendet zu haben.«
»Vermutlich wäre Schah Abbas nicht sehr begeistert.«
Sir Anthony grinst. »Nein, insbesondere, da wir bereits sein Geld bekommen haben. Aber ich gebe der Sache noch ein paar Tage mehr. Danach reisen wir zurück nach London. Ihr seid mehr als willkommen, uns zu begleiten.«
Während Sir Anthony seine Hakenbüchse aufhebt, bedanke ich mich für sein Angebot und verlasse ihn. Werde ich sie begleiten, wenn sie nach England zurückfahren? Ich spüre kein Verlangen nach London. Prag ist das einzige Zuhause, das ich kenne. Und dann ist da schließlich noch die Weissagung von Meister Ripellino. Rettet die Unschuldigen. Einen Unschuldigen habe ich heute Morgen schon sterben sehen. Habe ich bereits versagt?
Und doch … es gibt noch Hannah. Ich erinnere mich an die sanfte Berührung ihrer Hand, als wir in den Königlichen Gärten waren. Ist sie womöglich diejenige, die ich retten muss? Wer außer Hannah ist an diesem Ort unschuldig? Bei diesem Gedanken läuft mir ein Schauer über den Rücken. Doch welcher Gefahr ist sie ausgesetzt? Und werde ich in der Lage
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