Angelglass (German Edition)
seine Lippen.
Als er näher kommt und die Hand an den Schaft seines Schwertes legt, versteckt sich Hannah hinter mir. »Ich hatte schon lange kein Frauenzimmer mehr, und die böhmischen Huren sollen angeblich sehr lebhaft sein«, sagt er mit kehliger Stimme. »Vielleicht sollte ich mit dir in den Sattel steigen, mein Kind, hä?«
»Keinen Schritt weiter«, warne ich den Fremden, wenngleich ich über keine Waffe verfüge, die meiner Forderung Nachdruck verleihen könnte.
»Ah, mein Junge, du willst sie also nicht mit mir teilen?«, sagt der Eindringling. Sein Auge blitzt auf. Er bewegt sich so schnell, dass ich viel zu spät bemerke, wie sich seine Faust auf mein Gesicht zubewegt und mich zu Boden schickt.
Während ich völlig benommen auf der Erde liege, packt er sich Hannah mit seinen starken Händen, drängt sie gegen einen Baum und fummelt an ihrem Rock herum. »Keine Sorge, mein Junge, ich lasse sie am Leben«, sagt er grinsend. »Zumindest ein bisschen. Der Rest gehört dir.«
Glücklicherweise reagiert Hannah viel geschickter als ich. Mit der freien Hand zieht sie ein Messer unter ihrem Rock hervor und stößt es dem Angreifer ohne zu zögern in den Hals.
Der Fremde heult auf. An seinem Hals ist jedoch keinerlei Blut erkennbar. Hannah kann nur sprachlos zusehen, wie die Schneide des Messers zerbricht, so als hätte man sie vor eine Steinwand geschleudert. Endlich finde ich meine Stimme wieder. »Hilfe! Überfall!«, brülle ich, wohl wissend, dass wir uns in Hörweite zum Schloss befinden und eine Wachpatrouille in der Nähe sein muss. Der Mann blickt auf, so als wittere er die Gefahr. Sekunden später höre ich das Geräusch schneller Schritte über den Kies näher kommen. Der Mann stößt Hannah zu Boden und sieht mir direkt in die Augen.
»Das ist noch nicht vorbei, mein Junge. Noch lange nicht«, flüstert er erbittert und verschwindet genau in dem Augenblick zwischen den Bäumen, als drei Wachsoldaten zu uns gerannt kommen.
»Er ist da entlang gelaufen«, sagt Hannah und zeigt auf die Bäume. Die Wachsoldaten zücken ihre Degen und stürzen dem Mann hinterher.
»Alles in Ordnung?«, frage ich Hannah und helfe ihr auf.
Sie nickt. »Hast du das gesehen …? Das Messer, es ist einfach …«
»Ich hab’s gesehen. Komm, lass uns zum Schloss gehen.«
Gerade als wir den Garten verlassen wollen, bemerke ich, wie das Mondlicht von einem Gegenstand auf dem Boden reflektiert wird. Ich beuge mich hinunter und hebe eine kleine goldene Scheibe auf; eine Brosche oder Spange, die mir entfernt bekannt vorkommt. Sie ist mit dem verschnörkelten Buchstaben T verziert. Ich stecke die Brosche in die Tasche, bringe Hannah zurück in die Küche und verspreche ihr, mich gleich morgen wieder nach ihr zu erkundigen. Dann laufe ich zurück zum Bankettsaal, um nach Sir Anthony zu suchen. Denn ich glaube, ein Mysterium entdeckt zu haben, von dem er umgehend unterrichtet werden muss.
Der Abenteurer ist noch immer mit Finn im Gespräch vertieft. Als ich auftauche, fällt den beiden meine zerzauste Erscheinung sogleich auf. »Meister Poutnik, geht es Euch gut?«, fragt Finn. »Es hat doch wohl nicht schon wieder …?«
Sir Anthony wirft einen Blick auf Lang, der am Rande der Gesellschaft durch den Bankettsaal schlendert. »Nicht er«, sage ich. »Dieses Mal nicht. Ich war mit Hannah in den Königlichen Gärten. Dort hat uns jemand überfallen.«
Als ich in meinem Bericht zu der Stelle komme, wo Hannahs Messer vom Hals des Fremden abprallt, sieht mich Sir Anthony besorgt an. »Davon habe ich schon mal gehört«, murmelt er. »Auf meinen Reisen haben mir schon viele von den sogenannten ›Harten Männern‹ erzählt. Eine Bande von Söldnern unter Führung eines erbarmungslosen Kroaten, den sie Carlo Fantom nennen. Ein grausamer Mann, wird behauptet. Doch unsere Wege haben sich noch nie gekreuzt.«
»Harte Männer?«, fragt Finn. »Warum werden sie so genannt?«
»Es heißt, sie stammten aus einer Gemeinschaft irgendwo tief im Wald und hätten als Kinder geheimnisvolle Kräuter eingeflößt bekommen, die sie völlig unempfindlich gegen Waffen machten. Bis heute habe ich das nicht glauben können.«
»Ihr glaubt also, dass der Fremde zu diesen Harten Männern gehört?«, fragt Finn besorgt. »Ich sollte vielleicht das Schlossgelände absuchen lassen.«
»Das ist ein guter Einfall«, sagt Sir Anthony. »Wenn Fantom und seine Männer hier in Prag sind, kann das nichts Gutes bedeuten.«
Als Finn verschwunden ist, um einen
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