Angelglass (German Edition)
durch dieses Glas sprechen die Engel zu Euch?«, fragt der Kaiser bewundernd.
»Um genau zu sein, sprechen sie mit Edward«, erwidert Dee. »Er hat die Gabe und kann ihre überirdischen Stimmen hören. Durch ihn sprechen sie zu mir, in einer Sprache, die Adam von Gott gegeben wurde, um die Vögel und Tiere des Paradieses zu benennen. Seit vielen Jahren zeichnen wir gewissenhaft ein verloren gegangenes Alphabet auf, das eines Tages die himmlischen Arsenale öffnen wird.«
Das ist alles viel zu viel für Rudolf. Sein Wunsch, die Mauern von Gottes Burg einzureißen, nimmt konkrete Gestalt an. »Befehlt ihnen zu sprechen«, gebietet er flüsternd. »Befehlt den Engeln zu sprechen.«
Dee sieht skeptisch zu Kelley hinüber. »Eure Exzellenz, den Engeln liegt nichts an irdischen Bedürfnissen, sie sprechen nur gemäß ihrer eigenen Willkür. Wir können es lediglich versuchen …«
»Dann versucht es!«, brüllt Rudolf. »Ich bin der absolute Herrscher des Heiligen Römischen Reiches, oder etwa nicht? Befehlt ihnen zu sprechen, Doktor Dee!«
Dee redet leise murmelnd mit Kelley, der sich daraufhin dem magischen Stein zuwendet. Schweigend warten wir ab, bis Kelley schließlich die Augen schließt und lautstark und langsam zu atmen beginnt.
»Er versetzt sich jetzt in die erforderliche Trance, um die Ebene der himmlischen Kommunikation zu erreichen«, erklärt Dee flüsternd. »Wir müssen abwarten und ganz still sein.«
Nach drei oder vier Minuten spüre ich, dass Rudolf unruhig wird. Plötzlich erstarrt Kelley. Er keucht und verdreht die Augen.
»Er ist zu ihnen vorgedrungen!« Dee ist aufgeregt. »Wer ist gekommen?«, fragt er Kelley.
»Es ist Uriel«, stammelt Kelley zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
»Uriel«, flüstert Dee. »Der mächtigste der Engel geruht mit uns zu sprechen. Es heißt, dass Uriel die Leiche des ersten Menschen, Adam, begraben hat, und dass er Noah vor der großen Sintflut warnte. Und er verriet Enoch, dem Vater Methusalems, die Geheimnisse der himmlischen Tierkreiszeichen. Exzellenz, mit dem Erscheinen eines Erzengels wird uns eine große Ehre zuteil.«
Rudolf ist sprachlos. Mit weit aufgerissenen Augen sitzt er auf der Kante seines großen Throns. »Was sagt er?«
»Was sagt er?«, wiederholt Dee für Kelley.
Kelley zittert, so als erleide er Schmerzen. »Eine Botschaft. Eine Botschaft für den Kaiser …«
Entzückt klatscht Rudolf in die Hände. »Eine Botschaft für mich? Aus dem Himmel?«
»Bitte, Exzellenz«, flüstert Dee und mahnt Rudolf zur Ruhe. »Die Engel sind launische Wesen. Wir dürfen sie nicht verstimmen. Kelley, wie lautet die Botschaft?«
»Betrug«, keucht Kelley. »Falsche Propheten. Eine Warnung. Hütet Euch!«
Unvermittelt bricht er schwer atmend zusammen. »Er ist entschwunden«, sagt er mit schwacher Stimme.
Doch die Geschehnisse sind für Rudolf mehr als genug. »Der Erzengel Uriel schickt mir eine Botschaft«, wundert er sich. »Aber was hat sie zu bedeuten? Eine Warnung? Betrug? Wer betrügt mich? Wer sind die falschen Propheten?«
Dee zuckt mit den Schultern. »Die Worte der Engel sind oftmals mysteriös«, sagt er. Kelley blickt vielsagend in meine Richtung, sagt aber nichts.
»Wird Uriel bald wieder zu uns sprechen?«, fragt Rudolf.
»Vielleicht«, erwidert Doktor Dee. »Vielleicht.«
»Faszinierend«, sagt Rudolf. »Spiegel von Prag, was hältst du davon?«
»Faszinierend, Exzellenz«, stimme ich zu. Allerdings könnte ich bei meinem Leben schwören, dass uns gerade eine ausgefeilte und faustdicke Lüge aufgetischt wurde. Doch das erwähne ich nicht.
»Aber woher wusstet Ihr, dass er lügt?«, will Jakob wissen.
»Ich weiß nicht. Ich weiß nur, dass alles ein Schwindel war. Kelley hat definitiv nicht durch diesen Spiegel mit dem Erzengel Uriel gesprochen.«
»Dann ist er also nur ein weiterer Scharlatan«, seufzt Jakob. »Gott weiß, dass wir davon schon genug hier im Schloss haben.«
Dieses Mal haben wir die Tür zu Jakobs Arbeitszimmer sorgfältig geschlossen, um eine weitere unverhoffte Störung durch Lang zu unterbinden. »Nichtsdestotrotz«, fahre ich zögernd fort, »es gab da irgendetwas … Seltsames an diesem Zauberspiegel.«
»Ach ja? Inwiefern?«
Aufgeregt laufe ich im Zimmer umher. »Ich kann es nicht genau sagen, Jakob. Es ist nur so ein Gefühl. Ich wünschte, ich könnte ihn mir näher ansehen.«
»Ich kann mir vorstellen, dass der Spiegel sicher aufbewahrt wird, wenn Doktor Dee und dieser Kelley nicht in der
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