Angelglass (German Edition)
Nähe sind«, sagt Jakob.
»Aber es muss irgendeinen Weg geben. Jakob, ich werde deine Hilfe brauchen.«
»O nein, Meister Poutnik«, stöhnt er. »Ich darf mich in keinerlei Händel verstricken …«
»Ich bringe dich nicht in Gefahr, Jakob. Du musst bloß Schmiere stehen, während ich ihre Gemächer durchsuche.«
»Aber wie sollen wir wissen, wann wir es tun können, ohne entdeckt zu werden?«
»Heute Abend«, sage ich. »Dee und Kelley werden mit dem Kaiser speisen. Wir gehen heute Abend.«
Zum ersten Mal seit meiner Ankunft in Prag habe ich das Gefühl, ein Ziel zu haben. Ich bin zu einer Entscheidung befähigt. In welchen Konflikt ich auch immer einzugreifen bestimmt bin, so ist die Bühne nun hergerichtet. Denn ich glaube wirklich, dass Ripellinos Worte eine Prophezeiung darstellen, die es zu erfüllen gilt. Mit dem Erscheinen von Dee und Kelley sind alle Akteure versammelt. Alle Requisiten sind vorhanden. Und ich bin sicher, dass mir Dees Engelsglas Antworten geben wird. Wenn ich bloß die Fragen wüsste.
Den Nachmittag verbringe ich mit Hannah. Sie nimmt mich mit auf einen Spaziergang durch die Stadt und führt mich oben auf den Petřín-Berg. Dort zeigt sie mir die fünf Stadtteile, die Prag ausmachen. Der Hradschin, das Schlossareal; die Altstadt mit ihrem quirligen Hauptplatz, der von Wahrsagern und fliegenden Händlern bevölkert ist; die Neustadt, der Wohnort des Prager Adels; Malá Strana, das kleinste Viertel mit seinen labyrinthischen Gassen und Winkeln; und das Getto, dessen Elend sicher verwahrt hinter hohen Mauern liegt. Der schwindende Tag ist kühl und frisch. Wie Verliebte folgen wir den Wegen durch die bewaldete Parklandschaft, halten Händchen und lachen. Seit meiner Entscheidung, in Dees Quartier einzubrechen, kommt es mir vor, als wäre mir eine Last von den Schultern genommen. Natürlich erzähle ich Hannah nichts von meinen Plänen, in die auch ihr Vater involviert ist.
»Du kommst mir heute etwas … ernst vor«, sagt sie. »Ist etwas geschehen?«
Ich antworte ihr mit einem Kuss. Ich küsse ihre Lippen und fühle die Wärme ihrer Menschlichkeit. Ganz gewiss halte ich in meinen Armen ein wirklich unschuldiges Geschöpf, ein von Willkür verfolgtes Kind. Hannah muss unter allen Umständen beschützt werden. Sie muss gerettet werden. Dessen bin ich mir sicher.
Einige Zeit später, nachdem Hannah wieder in die Küche zurückgekehrt ist, begebe ich mich auf einen erneuten Spaziergang durch die Königlichen Gärten. Ich habe das Verlangen, Rudolfs Löwen wiederzusehen und mir ein wenig Mut von diesem edlen König der Tiere abzugucken, der in seinem ummauerten Gefängnis residiert. Als ich ruhigen Schrittes einen der Wege betrete, höre ich ein Stückchen vor mir das leise Murmeln aufgeregter Stimmen. Aus unerfindlichen Gründen ducke ich mich schnell ins Unterholz und verstecke mich hinter einem riesigen blühenden Busch. Zwei Gestalten kommen mir entgegen.
Aus meinem Versteck heraus kann ich nur Percy Tremayne erkennen, der ein ärgerliches Gesicht aufgesetzt hat. Er bleibt direkt neben dem Busch stehen, sein Gesprächspartner ist meinen Blicken weiter entzogen. »Was fällt dir eigentlich ein, mich so lange warten zu lassen? Wenn ich im Schloss vermisst werde, wenn uns jemand sieht …«
So leise wie möglich bewege ich mich ein wenig zur Seite, um die andere Person zu identifizieren. Könnte Percy sich womöglich wieder mit dem Harten Mann getroffen haben, der Hannah und mich am Abend von Dees Ankunft belästigt hat?
»Beruhige dich, Percy«, sagt der andere. Und noch bevor er in mein Sichtfeld tritt und ich das graue Haar erkenne, weiß ich, wer es ist. Edward Kelley.
»Wir müssen schnell handeln«, sagt Percy. »Ich fürchte, Sherley wird nicht mehr lange hier sein. Dank dieses teuflischen Kammerherrn lässt sich Rudolf nicht auf Schah Abbas’ Hilferufe ein. Und Sir Anthony ist kein großer Bewunderer deines Herrn. Uns bleiben nur noch ein paar Tage, bevor er sich entscheidet, die Kompanie aus Prag abzuziehen.«
Kelley tritt ein Stückchen beiseite, und ich kann ihn plötzlich nicht mehr verstehen. Percy stößt ein bitteres Lachen aus. »Ja, er hat dem Findling und seiner kleinen Hure einen ganz schönen Schrecken eingejagt. Er kann sein Gemächt nun mal nicht in der Hose behalten. Ein weiterer Grund, weswegen wir schnell handeln müssen; je länger Fantom in den Wäldern herumläuft und das Wild schändet, desto unberechenbarer wird er.«
Fantom. Der Anführer der
Weitere Kostenlose Bücher