Angelglass (German Edition)
Scharlatan.«
Er neigt sich dicht zu mir und bläst mir seinen faulen Atem ins Gesicht. »Hör zu, Junge. Ich will ganz offen sein; mir gefällt deine Nase nicht, nicht im Mindesten. Komm, wirf mal einen Blick auf das hier.«
Grinsend streicht er sein langes graues Haar zurück und entblößt ein Paar vernarbte Löcher, wo eigentlich seine Ohren sein sollten. »Der Magistrat von Lancaster hat sie mir abschneiden lassen, weil ich ein böser Junge war. Also, Kleiner, merk dir meine Worte: Mit mir lässt sich nicht scherzen! Momentan gibt es in Prag nur eine Attraktion, und die heißt Doktor Dee. Also sei ein braver Findling und geh uns aus dem Weg, verstanden?«
Ich bin von dem schrecklichen Anblick des ohrlosen Kopfes völlig gebannt. Gerade als ich etwas erwidern will, ertönt eine Stimme aus dem angrenzenden Raum. »Edward? Edward, mit wem redest du da?«
»Völlig unwichtig, John«, erwidert Edward fast zärtlich, während er mir einen unverblümten Blick zuwirft. »Nur ein Diener, der fragt, ob wir noch etwas essen wollen.«
»Ich glaube nicht, Edward«, erklingt die Stimme wieder. »Ich glaube, ich möchte jetzt schlafen.«
»Gute Idee, John«, sagt Kelley. »Ich komme auch sofort.«
Er wendet sich wieder zu mir. »Ich hoffe, die Botschaft ist angekommen, Junge.« Dann drückt er mir die fettigen Überreste des Hühnerknochens in die Hand und verschwindet in den Schatten des Korridors.
Ich verbringe eine schlaflose Nacht und zermartere mir den Kopf mit den wenigen Informationen, die ich über Doktor Dee habe.
Drebbel fürchtet ihn; Kepler ist in Ehrfurcht erstarrt. Brahe und Percy halten ihn für einen Scharlatan. Sir Anthony, der für gewöhnlich mit beiden Beinen auf der Erde steht, ist skeptisch gegenüber ihm und seiner Reputation. Lang, so viel ist klar, möchte ihn am liebsten gar nicht in Prag haben. Der Kammerherr betrachtet Dee mit demselben Argwohn, mit dem er mich ansieht; für ihn sind wir unbekannte Größen, die er nicht kontrollieren kann und denen er zutraut, den Thron in Gefahr zu bringen. Früh am Morgen gehe ich zu Jakob und bitte ihn um Rat.
»Ihr haltet meine Meinung also für interessant, Meister Poutnik?«, fragt er, während er ein Paar Kniehosen ausbessert. »Ich fühle mich geschmeichelt.«
Ich trinke eine Tasse Tee mit Jakob. »Hannah hat mir erzählt, was sich gestern Abend in den Königlichen Gärten zugetragen hat«, sagt er beiläufig.
»Ah«, erwidere ich und komme mir dabei plötzlich schuldig vor. »Es tut mir leid, dass ich sie in Gefahr gebracht habe, Jakob. Ich wusste nicht …«
Versöhnlich hebt er die Hand. »Natürlich nicht, Meister Poutnik. Ich habe mich nur gefragt … Habt Ihr Hannahs Gesellschaft genossen?«
Ich erröte leicht. »Sie ist eine sehr interessante junge Frau, Jakob.«
»Ein bisschen dickköpfig«, seufzt er. »Und so modern. In meiner Generation akzeptieren wir unser Schicksal als Juden. Wir leben im Getto und kommen zurecht. Rabbi Löw versucht regelmäßig, dem Kaiser etwas abzutrotzen, aber wir erwarten nicht, dass die Dinge besser werden. Hannah ist anders. Sie wünscht sich ein besseres Leben. Manchmal mache ich mir Sorgen um sie. Ich mache mir Sorgen, weil ich nicht weiß, wie weit sie gehen wird, um ihre Wünsche zu erfüllen.«
Gedankenverloren nippt Jakob an seinem Tee und seufzt. »Ich bin wohl ein sehr beschützender Vater. Und dabei wolltet Ihr etwas über Doktor Dee wissen«, sagt er und lehnt sich zurück. »Ich muss gestehen, dass ich nicht mehr über ihn weiß, als was im Schloss erzählt wird. Dee ist in erster Linie als Magier bekannt; ein Zauberer, der durch einen Zauberspiegel mit Engeln spricht. Anscheinend – und das weiß ich aus zuverlässiger Quelle – ist es aber gar nicht Dee, der mit den Engeln spricht. Es ist sein Tunichtgut von Gefährte, dieser Kelley. Vielleicht ist ja der große Magier gar nicht so mächtig, wie er uns glauben lässt, hä?«
»Kelley? Es fällt mir schwer, das zu glauben. Ich hatte gestern Abend eine Auseinandersetzung mit ihm.«
»Wohl kein angenehmer Zeitgenosse, wie ich mir habe sagen lassen. Es gibt sogar bestimmte Gerüchte«, sagt Jakob und lehnt sich verschwörerisch zu mir. »Dee und Kelley sollen für Königin Elisabeths Meisterspion arbeiten, den Earl of Walsingham. Diese ganze Magie sei bloß eine Scharade, die es ihnen erlaubt, die europäischen Höfe zu besuchen und dort für ihren Zahlmeister in London Spionage zu betreiben.«
»Und andere Gerüchte besagen, dass Diener,
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