Angélique - Die junge Marquise - Golon, A: Angélique - Die junge Marquise - Angélique 01. Marquise des Anges
Adels, sinnierte er wahrscheinlich gerade wehmütig.
Da erhob sich plötzlich ein Tumult auf dem Platz rings um die große Ulme, und man sah zwei Männer, die jeder eine Art weißen, bereits prall gefüllten Sack unter dem Arm trugen und auf zwei Fässer stiegen. Es waren die Sackpfeifer. Dazu gesellte sich noch ein Schalmeibläser.
»Der Tanz geht los!«, rief Angélique und rannte hinüber zum Haus des Schulzen, wo sie bei ihrer Ankunft ihre Holzschuhe versteckt hatte.
Ihr Vater sah, wie sie, von einem Fuß auf den anderen springend, zurückkam und dabei den Takt der Balladen und Rundtänze klatschte, die bald getanzt werden würden. Ihr goldbraunes Haar hüpfte auf ihren Schultern. Vielleicht lag es an ihrem zu kurzen und zu engen Kleid, dass ihm mit einem Mal bewusst wurde, wie sehr sie sich im Laufe der letzten Monate plötzlich entwickelt hatte. Während sie bis dahin immer sehr schmächtig gewesen war, hatte es nun fast den Anschein, als sei sie schon zwölf Jahre alt; ihre Schultern waren breiter geworden, und ihre Brust wölbte sich sacht unter dem abgenutzten Sergestoff ihres Kleids. Eine gesunde Durchblutung verlieh ihren sonnengebräunten Wangen einen roten Schimmer, und ihre halb geöffneten, feuchten Lippen gaben beim Lachen den Blick auf perfekte kleine Zähne frei.
Wie die meisten jungen Mädchen hatte sie einen großen Strauß gelber und lilafarbener Schlüsselblumen in den Ausschnitt ihres Mieders gesteckt.
Auch den anwesenden Männern fiel ihre lebenssprühende, frische Erscheinung auf.
»Eure Tochter wird ein sehr hübsches Mädchen«, bemerkte der alte Saulier mit schmeichlerischem Lächeln und einem vielsagenden Blick hin zu seinen Nachbarn.
Der Stolz des Barons färbte sich mit Sorge.
Sie ist mittlerweile zu alt, um sich noch länger unter diese
Bauernlümmel zu mischen, dachte er bei sich. Nicht Hortense, vielmehr sie müsste man ins Kloster schicken …
Unbekümmert um die Blicke und Überlegungen, die sie hervorrief, gesellte sich Angélique fröhlich zu den jungen Mädchen und Burschen, die von allen Seiten in Gruppen oder Paaren herbeieilten. Um ein Haar wäre sie mit einem Jungen zusammengestoßen, der so edel gekleidet war, dass sie ihn auf den ersten Blick gar nicht erkannte.
»Meine Güte, Valentin«, rief sie im Dialekt der Gegend, den sie fließend beherrschte, »siehst du heute aber gut aus, mein Lieber!«
Das Gewand des Müllerssohns musste in der Stadt geschneidert worden sein, und der Stoff war von so guter Qualität, dass seine Rockschöße wie gestärkt wirkten. Der Rock war genau wie die Weste mit mehreren Reihen blitzender vergoldeter kleiner Knöpfe geschmückt. Metallene Spangen zierten seine Schuhe und den Filzhut, und als Strumpfbänder trug er Schleifen aus blauem Satin. Der junge Bursche wirkte recht linkisch und gehemmt in seinem Aufzug, aber sein Gesicht strahlte vor Zufriedenheit. Angélique, die ihn wegen dieser Reise in die Stadt, die er mit seinem Vater unternommen hatte, ein paar Monate lang nicht gesehen hatte, bemerkte, dass sie ihm kaum noch bis zur Schulter reichte, und fühlte sich fast ein wenig eingeschüchtert. Um ihre Verlegenheit zu vertreiben, griff sie nach seiner Hand.
»Komm tanzen!«
»Nein! Nein!«, wehrte er ab. »Ich will meinen schönen Anzug nicht verderben. Ich setze mich lieber zu den Männern und trinke mit ihnen«, fügte er selbstgefällig hinzu und ging auf die Gruppe der Honoratioren zu, bei denen sich sein Vater gerade niedergelassen hatte.
»Los, tanz mit!«, rief ein Junge und schlang die Arme um Angéliques Taille.
Es war Nicolas. Seine kastanienbraunen Augen blitzten ausgelassen.
Sie stellten sich einander gegenüber und begannen zum schrillen Klang der Sackpfeifen und der Schalmei rhythmisch mit den Füßen zu stampfen. Ein instinktives Rhythmusgefühl verlieh diesen Tänzen, die schwerfällig und monoton hätten erscheinen können, eine außerordentliche Harmonie. Neben den Sackpfeifen und der Schalmei war das wichtigste Instrument ebendieser dumpfe Schlag der Holzschuhe, die in vollkommenem Gleichklang auf den Boden trafen, und die komplizierten, sekundengenau ausgeführten Figuren verliehen der Perfektion des ländlichen Balletts eine zusätzliche Anmut.
Es wurde Abend. Die Kühle erfrischte die schweißüberströmten Gesichter. Angélique ging ganz in ihrem Tanz auf. Sie war glücklich, und alle Gedanken waren von ihr abgefallen. Ihre Kavaliere wechselten einander ab, und in ihren funkelnden, fröhlichen
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