Angélique - Die junge Marquise - Golon, A: Angélique - Die junge Marquise - Angélique 01. Marquise des Anges
geweint.
So entdeckten sie der Baron de Sancé und der alte Guillaume, die sich auf die Suche nach ihr gemacht hatten: mit schwankendem Gang, zerrissenem Kleid und die Haare voller Heu.
»Mein Gott!«, rief Guillaume und blieb entsetzt stehen.
»Wo kommt Ihr her?«, fragte der Schlossherr Angélique.
Aber als der alte Soldat sah, dass sie nicht in der Lage war, ihm zu antworten, nahm er sie auf den Arm und trug sie nach Hause.
Besorgt dachte Armand de Sancé, dass er unbedingt eine
Möglichkeit finden müsse, seine zweite Tochter bald ins Kloster zu schicken. Er hatte sich noch nicht entschieden, ob er auf Molines’ Angebot eingehen sollte, denn noch hoffte er, dass ihm von anderer Seite die Hilfe gewährt werden würde, die ihm zustand.
Angélique kam erst am nächsten Tag wieder zu sich, nachdem sie fast vierundzwanzig Stunden geschlafen hatte.
Sie war hellwach und hatte nicht das geringste schlechte Gewissen, und trotzdem schmerzte tief drinnen in ihrem Herzen eine Wunde. Sie musste daran denken, dass sie sich mit Valentin und vielleicht auch mit Nicolas zerstritten hatte – was waren die »Männer« doch alle dumm! Außerdem musste sie zugeben, dass das alles nicht passiert wäre, wenn sie auf ihren Vater gehört und das Fest mit ihm zusammen verlassen hätte. Zum ersten Mal räumte sie ein, dass es vielleicht ganz sinnvoll sein könnte, auf die Erwachsenen zu hören, und sie nahm sich vor, von jetzt an vernünftiger zu werden.
Beim Anziehen musterte sie aufmerksam ihren Busen. Er war in diesem Jahr deutlich gewachsen. Ihre Brüste begannen sich abzuzeichnen. Irgendwann werde ich einen Busen haben wie Nanette, dachte sie bei sich. Sie wusste nicht, ob sie stolz darauf war oder ob diese Vorstellung ihr eher Angst einjagte. All diese Veränderungen verwunderten sie, vor allem aber hatte sie das Gefühl, dass irgendetwas zu Ende ging. Ihr freies, vertrautes Leben war bedroht. Es würde sie in eine andere Welt führen, von der sie jetzt noch nichts ahnte.
Pulchérie hat mir vor einer Weile gesagt, ich würde bald ein junges Mädchen sein, dachte sie verwirrt. Aber ich habe Angst, dass ich mich dann furchtbar langweilen werde.
Der Hufschlag eines galoppierenden Pferds lockte sie ans Fenster. Sie sah, wie ihr Vater vom Hof ritt, und wagte nicht,
ihm nachzurufen und ihn zu bitten, sie mitzunehmen. Er reitet bestimmt zu Molines, dachte sie. Es wäre so schön, wenn diese ewigen Geldsorgen ein Ende hätten und er nicht länger auf die Hilfe des Königs zu warten brauchte. Hortense könnte sich anständig anziehen und in eine gute Familie einheiraten, statt zu Hause herumzusitzen und zu schmollen. Und Josselin könnte in die Armee eintreten, statt wie der Teufel mit den Söhnen von Baron de Chaillé zu jagen. Ich hasse diese ungehobelten Kerle, mit denen er sich herumtreibt. Wenn sie herkommen, zwicken sie mich so fest, dass ich noch eine Woche danach blaue Flecken habe. Und Vater wäre glücklich. Er könnte den ganzen Tag lang seine Maultiere anschauen …
So träumte das kleine Mädchen vor sich hin, ohne zu ahnen, welche Veränderungen dieser zweite Besuch beim Verwalter Molines mit sich bringen würde. Sie zweifelte nicht daran, dass ihr Vater das Darlehen annehmen würde, das er brauchte, um die Maultierzucht aufzubauen. Doch als sie später die verschlossene, angespannte Miene ihrer Mutter sah, erriet sie, dass diese ihn hatte schwören lassen, über seine obskuren Geschäfte absolutes Stillschweigen zu bewahren, damit ihre adligen Nachbarn sie nicht beschuldigen könnten, ihrem Stand zuwiderzuhandeln und sich in die Hände eines Wucherers begeben zu haben. Da sie auch Maître Molines besser kannte, ahnte Angélique, dass er den Baron hartnäckig bedrängen würde, die zusätzlichen zwanzigtausend Livres als persönlichen Vorschuss anzunehmen, aber ihr Vater war hart geblieben, denn es war nie mehr die Rede davon, dass seine Töchter ins Kloster kommen sollten.
Doch für die Maultierzucht kündigten sich bessere Zeiten an.
Bauern kamen ins Schloss und brachten bald eine Stute, bald
einen Esel. Der Baron prüfte das Gebiss und die Hufe der
Tiere, erkundigte sich nach ihrem Stammbaum und kaufte nur wenige.
Er wartete. Auf dem Markt von Fontenay-le-Comte, der in drei Wochen abgehalten wurde, würde er mehr und bessere Tiere finden. Er schien viel Geld zur Verfügung zu haben, denn er rief die Einwohner von Monteloup zusammen und erklärte ihnen, dass es Arbeit für alle gäbe und darüber
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