Angélique - Die junge Marquise - Golon, A: Angélique - Die junge Marquise - Angélique 01. Marquise des Anges
züchtet Maultiere, wagt es aber nicht, diese demütigende Lage so weit auszunutzen, durch Reichtum seinem Adelstitel wieder zu altem Glanz zu verhelfen. Letztlich verliert er auf beiden Seiten. Man zeigt mit dem Finger auf ihn, weil er arbeitet wie ein Rosstäuscher, und auf uns, weil wir trotzdem nicht mehr sind als adlige Bettler. Zum Glück hat mir Onkel Antoine, Vaters älterer Bruder, den Weg gezeigt. Er ist zum Protestantismus konvertiert und hat den Kontinent verlassen.«
»Du willst doch wohl nicht deinem Glauben abschwören?«, flehte sie erschrocken.
»Nein. Ich habe dir doch gesagt, dieses frömmlerische Getue interessiert mich nicht. Ich will leben.«
Er küsste sie flüchtig und wandte sich ab. Doch nachdem er ein paar Stufen die Treppe hinuntergegangen war, drehte er sich wieder um und musterte seine halbnackte Schwester mit dem Blick eines erfahrenen Mannes.
»Du wirst schön und stark, Angélique. Sieh dich vor. Du solltest auch weggehen. Sonst findest du dich eines Tages mit einem Stallknecht im Heu wieder. Oder du wirst an einen fetten Krautjunker in der Nachbarschaft verschachert.«
Plötzliche Zärtlichkeit klang aus seiner Stimme, als er fortfuhr.
»Glaub der Erfahrung eines bösen Jungen, Kleines. So ein Leben wäre furchtbar für dich. Sieh zu, dass du auch aus diesem alten Gemäuer fortgehst. Ich jedenfalls werde Seemann.«
Und mit ein paar langen Sätzen, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, war der junge Mann verschwunden.
Kapitel 8
D er Tod des Großvaters, der Fortgang von Josselin und der Rat, den dieser ihr zum Abschied gegeben hatte – »Sieh zu, dass du auch fortgehst« -, berührten Angélique zutiefst, und das in einem Alter, in dem die äußerst empfindsame Natur zu allen Überschwängen bereit ist... Unbemerkt erwies sich auch das seelische Beben, das der Besuch von Pastor Rochefort in ihr ausgelöst hatte, als folgenreich, denn es hatte Spuren in ihr hinterlassen, die sich im Laufe der folgenden Tage ausbreiteten wie jene Kreise, die von einem in einen Teich geworfenen Stein ausgehen. Kreise, die immer größer und perfekter werden, bis sie ans Ufer stoßen und an diesem Wall aus Schlamm und Gräsern brechen, dort, wo die Menschen beim Vorübergehen alles zertreten.
Sie dachte nicht daran, ihre liebevolle Familie um Hilfe zu bitten. Und Mélusine konnte nichts für sie tun. Die Welt war bereits erschüttert genug. Schon vor langer Zeit hatte die Bosheit der Menschen dafür gesorgt, dass Mélusine nun in Gefilden wandelte, die womöglich noch ferner und dunkler waren als die, zu denen Josselin aufgebrochen war.
Reglos stand Angélique am Ufer der schlafenden Tümpel und Kanäle, die schwarz glänzend unter der Wasserlinsendecke aufblitzten, als diese unvermittelt unter dem Aufprall des Kiesels aufriss, und beobachtete, wie die schönen, vollkommenen Wellen, denen nie ein anderes Los beschieden war, als zu brechen und zu verschwinden, schwächer wurden und sich im wirren Gestrüpp der Ufer verloren.
Angélique riss sich von ihren düsteren Betrachtungen los, wandte den Blick von den Sümpfen ab und sah zum Wald. In diese Richtung musste Josselin gegangen sein, denn es hieß, hinter diesem Wald liege der große Hafen von La Rochelle. Dort war der riesige Ozean, über den man in die neue Welt gelangte. Das Meer. Angélique wurde von dem brennenden Wunsch erfasst, das Meer zu sehen, das richtige Meer. Hinter dem unendlichen, reglosen Grün des Waldes lag eine andere endlose Weite, diese jedoch wogend und lebendig, das Meer, auf dem Schiffe in die verschiedensten Länder segelten.
Dieser Gedanke setzte sich in ihr fest und ließ sie nicht mehr los. Sie musste ihn unbedingt in die Tat umsetzen. Wegen ihres Großvaters, wegen ihres Onkels Antoine. Wegen ihres Schicksals, hätte sie sich sagen können, wenn sie dazu veranlagt gewesen wäre, über ihre spontanen Impulse nachzudenken. Aber sie war noch ein Kind, das von niemandem in der Lehre des Denkens und der Kunst der Logik unterwiesen worden war.
Und so machte sich Angélique de Sancé de Monteloup in den ersten Sommertagen mit einer Bande kleiner Bauernlümmel, die sie rekrutiert und für ihre Reisepläne gewonnen hatte, auf den Weg nach Amerika. Noch lange sprach man in der Region davon, und viele Leute sahen darin einen weiteren Beweis für ihre Abstammung von einer Fee.
Um die Wahrheit zu sagen, kam die Expedition nicht über den Wald von Nieul hinaus.
Angélique kam wieder zur Vernunft, als es allmählich dunkel
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