Angélique - Die junge Marquise - Golon, A: Angélique - Die junge Marquise - Angélique 01. Marquise des Anges
halten.«
»Dann gebt Ihr also zu, dass Ihr Eure Anhänger nicht unter den guten Menschen sucht, sondern bei den Unentschlossenen, den enttäuschten Ehrgeizlingen und den abtrünnigen Mönchen, die froh darüber sind, dass ihre Ausschweifungen plötzlich den Geboten ihrer neuen Kirche entsprechen?«
»Ihr seid vorschnell in Eurem Urteil, Baron«, entgegnete der Pastor mit schneidender Stimme. »Vornehme Persönlichkeiten und hohe Geistliche der katholischen Welt haben sich bereits unseren Lehren zugewandt.«
»Ihr verratet mir nichts, was ich nicht schon weiß. Hochmut kann die besten Männer schwach werden lassen. Aber wir Katholiken haben den Vorteil, uns auf die Gebete der gesamten Kirche, der Heiligen und unserer Verstorbenen zu stützen, während Ihr in Eurem Hochmut diese Fürsprache ablehnt und behauptet, unmittelbar mit Gott selbst zu reden.«
»Die Papisten bezichtigen uns des Hochmuts, aber selbst wollen sie unfehlbar sein und nehmen sich das Recht zu Gewalt heraus. Ich habe Frankreich 1629 verlassen«, fuhr der Pastor mit dumpfer Stimme fort, »nachdem ich kurz zuvor, als halbes Kind noch, der entsetzlichen Belagerung von La Rochelle durch die Horden von Monsieur de Richelieu entgangen war. Man unterzeichnete den Frieden von Alès, mit dem den Protestanten das Recht genommen wurde, befestigte Städte zu besitzen.«
»Das wurde auch höchste Zeit. Ihr wurdet zu einem Staat im Staat. Gebt doch zu, dass es Euer Ziel war, die gesamten westlichen und zentralen Gebiete Frankreichs dem Einfluss des Königs zu entreißen.«
»Das weiß ich nicht. Ich war damals noch zu jung, um solch weitreichende Pläne zu hegen. Ich habe nur verstanden, dass diese neuen Entscheidungen dem Edikt von Nantes widersprachen,
das König Heinrich IV. erlassen hatte. Jetzt, da ich zurück bin, muss ich zu meiner Verbitterung feststellen, dass man in der Zwischenzeit nicht müde geworden ist, die einzelnen Punkte mit einer Unerbittlichkeit anzufechten und zu verfälschen, der nur noch das Misstrauen der Kasuisten und Richter gleichkommt. Man nennt dies die Mindesteinhaltung des Edikts. So werden die Protestanten etwa gezwungen, ihre Toten des Nachts zu begraben. Warum? Weil im Edikt nicht ausdrücklich vermerkt ist, dass die Bestattung eines Protestanten tagsüber stattfinden darf. Also soll es nachts geschehen.«
»Das dürfte Eurer Demut doch gefallen«, höhnte der alte Adlige.
»Und wie hat man den Artikel achtundzwanzig angewandt, der es den Protestanten erlaubt, an allen Orten, an denen ihnen die Ausübung ihrer Religion gestattet ist, Schulen zu eröffnen? Da im Edikt weder von den unterrichteten Fächern noch von der Anzahl der Lehrer oder der Größe der Klassen die Rede ist, hat man einfach beschlossen, dass es pro Schule und Marktflecken nur einen protestantischen Lehrer geben darf. So habe ich in Marennes sechshundert protestantische Kinder gesehen, denen nur ein einziger Lehrer zustand. Da sieht man doch, zu welch hinterhältigem Treiben die falsche Dialektik der alten Kirche geführt hat«, rief der Pastor mit dröhnender Stimme.
Darauf folgte ein betroffenes Schweigen, und Angélique erkannte, dass ihr im Grunde aufrechter und gerechter Großvater von der Schilderung dieser ihm nicht unbekannten Fakten ein wenig aus der Fassung gebracht worden war.
Doch plötzlich erklang wieder Raymonds ruhige Stimme: »Monsieur Rochefort, ich vermag nicht zu beurteilen, ob das, was Ihr in diesem Land an missbräuchlichen Auslegungen durch manche unbelehrbare Eiferer beobachten konntet, zutrifft.
Und ich bin Euch dankbar, dass Ihr nicht noch die erkauften Konvertierungen von Erwachsenen und Kindern erwähnt habt. Dennoch sollt Ihr wissen, dass Seine Heiligkeit der Papst persönlich wegen dieser unbestreitbaren Exzesse mehrmals beim hohen französischen Klerus und beim König interveniert hat. Offizielle, aber auch geheime Kommissionen reisen durch das Land, um erwiesenes Unrecht wiedergutzumachen. Und wenn Ihr selbst nach Rom reisen und dem Pontifex maximus einen Bericht über konkrete Beobachtungen überreichen würdet, bin ich davon überzeugt, dass die meisten der darin verzeichneten Missstände behoben würden …«
»Junger Mann, es ist nicht meine Aufgabe, Eure Kirche zu reformieren«, entgegnete der Pastor scharf.
»Auch gut, Monsieur Rochefort, dann werden wir es selbst tun. Und ob es Euch gefällt oder nicht«, rief der Jüngling in jähem Ungestüm, »Gott wird uns erleuchten.«
Angélique sah ihren Bruder
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